Die Geschichte des Rauchens

Inhaltsverzeichnis

Die Geschichte des Rauchens
Die Geschichte des Rauchens
  1. Das verkannte Geschenk
  2. Feinde des Tabaks
  3. Vom Sinn des Rauchens
  4. Revolutionäre Raucher
  5. Fast Smoke o. die Kleinste wird zur Größten
  6. Emanzipation mit Genuss
  7. Prohibition und Patriotismus
  8. Der moderne Anti-Raucher-Fundamentalismus
  9. Der Wert des Rauchs
  10. Viel Glaube und ein wenig Wissen
  11. Die intelligente Droge
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1. Das verkannte Geschenk

Wie das meiste, woran der weiße Mann nicht beteiligt war, liegt auch der Anfang des Tabakrauchens im Dunkeln. Lange bevor Kolumbus die Kunde vom Tabak nach Europa brachte, haben Griechen und Römer, Kelten und Germanen, Asiaten, Australier und Südseeinsulaner geraucht, freilich nicht Tabak, sondern getrockneten Ochsendung, Kräuter, Heilpflanzen, vielleicht auch Marihuana. Glaubt man Herodot, haben die Skythen nie im Wasser, sondern im Rauch des Hanfsamens gebadet. (Herodot, D, Ixxiv) In fast allen Religionen war und ist Rauch (z. B. der Weihrauch bei den Katholiken) Bestandteil ihrer religiösen Rituale. So soll der Rauch von Lorbeer und Gerstenmehl den Verkünderinnen des Orakels von Delphi zur gewünschten Transzendenz verholfen haben. Literarische Zeugnisse lassen vermuten, dass sich ihre Pupillen unter dem Einfluss einer Rauchdroge beeindruckend weiteten.
Ärzte wie Hippokrates empfahlen das Einatmen oder Einflößen von Rauch zur Linderung bei Frauenkrankheiten, Plinius verordnete gegen chronischen Husten das Inhalieren von Rauch des Huflattichs. Doch Tabak kannten nur die Amerikaner, und das, wie wir aus Ausgrabungen schließen können, schon vor 5500 Jahren. Sie rauchten ihn nicht nur bei Kulthandlungen oder aus medizinischen Gründen, sondern auch nach dem Essen zu einer Kürbisschale voll Kakao. Jünglinge, die bei den Azteken als Menschenopfer ausgewählt worden waren, durften ein Jahr lang bis zu ihrer Tötung in Saus und Braus leben. Alle Sinnenfreuden wurden ihnen gewährt, sie konnten ihre Restzeit mit den schönsten Frauen verbringen und als besonderes Privileg rauchen, wann immer sie wollten.

Als die Europäer Amerika erreichten, fanden sie daher auch eine hochentwickelte Tabakkultur vor. Rauchrohre, Tobagos genannt, waren oft kunstvoll aus bemaltem Schilf, Knochen, Holz, gelegentlich sogar aus Silber gefertigt, die getrockneten Blätter der Tabakpflanze gab es auf den Märkten zu kaufen, dazu Ambra, wohlriechendes Harz und Rosenessenz zur Herstellung feiner Tabakmischungen.
Die Europäer wussten freilich mit all dem nicht viel anzufangen. Getrocknete Blätter der Tabakpflanze, die Kolumbus bei seiner Ankunft zum Zeichen des Friedens und der Freundschaft überreicht worden waren, warf er achtlos weg. Erst nachdem ihm erneut Tabak geschenkt wurde und diesmal kostbar präsentiert, begann er sich für diese Pflanze zu interessieren. Was mit ihr anfangen? In seinem eigenen Bordbuch konnte er unter dem Datum des 6.11.1492 erste Hinweise finden. Zwei Kundschafter der Spanier hatten an diesem Tag berichtet, „unterwegs ganzen Eingeborenenhaufen begegnet zu sein, die zu ihren Siedlungen zurückkehrten und einen Feuerbrand und bestimmte Kräuter in Händen hielten, um sich ihren Gebräuchen gemäß zu beräuchern.“
Die Vorstellung, dass Menschen oder zumindest menschenähnliche Wesen Rauch genussvoll inhalieren könnten, muss so fremd gewesen sein, dass der erste überlieferte Bericht darüber erst fünf Jahre später, 1497, niedergeschrieben wurde. Der Verfasser Ramon Pane bezeichnete darin das Rauchen als „Cohobba machen“ und reagierte kaum weniger entsetzt als die Obrigkeit im Mutterland, als sie zum ersten Mal mit dieser heidnischen Sitte konfrontiert wurde. Als Rodrigo de Jerez, der das Tabakrauchen in Amerika kennen gelernt hatte, öffentlich in Alicante rauchte, wurde er von der Inquisition für 10 Jahre in einem Gefängnis eingesperrt. Die Glaubenshüter waren überzeugt, der Teufel sei in ihn gefahren und stoße höllischen Rauch durch Mund und Nase des Verdammten aus.

Die erste exakte Beschreibung indianischer Rauchgewohnheiten gab Bartolomé de las Casas, der Kolumbus zwischen 1498 und 1502 auf Reisen begleitet hatte. Dabei sei er vielen Männern und Frauen begegnet, „die alle eine glühende Kohle in der Hand trugen, die von wohlriechenden Kräutern unterhalten wurde. Es waren dies trockene Kräuter, in ein gleichfalls trockenes, breites Blatt eingewickelt; sie waren von der Art der kleinen Musketen, denen sich die spanischen Kinder zu Pfingsten bedienen. An einem Ende waren sie angezündet, am anderen Ende saugten die Leute und tranken gewissermaßen durch Einatmung den Rauch. Sie werden dadurch eingeschläfert und berauscht, sind aber offenbar dadurch vor Müdigkeit geschützt.“
Der spanische Mönch prägte durch seinen Bericht den bis ins 18. Jh. gebräuchlichen Begriff des „Tabaktrinkens“. So spricht z. B. 1627 der Holländer Johann Joachim von Rusdorff von der „Sauferei des Nebels“ : „Wüste Menschen pflegen nämlich den Rauch von einer Pflanze, die sie Nicotiana oder Tabak nennen, mit unglaublicher Begierde und unauslöschlichem Eifer zu trinken und einzuschlürfen.“
Doch Bartolomé de las Casas prägte nicht nur die Bezeichnung des Rauchens als Tabaktrinken, sondern auch dessen moralische Wertung. Aus seiner Beobachtung, dass Rauchen den Konsumenten offensichtlich Vergnügen bereitet, schloss er auf dessen Verwerflichkeit, nannte es als erster ein Laster.

Doch trotz aller Skepsis gegenüber dem Gebrauch der Nase als Schornstein wurde das Rauchen in den Kolonien auch für Europäer schnell gebräuchlich. So berichtete Jacques Cartier 1534 von Indianern, die aus der Pfeife den Rauch durch den Mund einziehen und durch die Nase wieder ausstoßen: „Wir machten es ebenso wie sie, aber der Rauch brannte uns wie Pfeffer, wenn er uns in den Mund kam.“ André Thevet zitierte 1558 zwar die Behauptung eingeborener Brasilianer, Rauchen „sei sehr geeignet, um die überflüssigen Säfte des Gehirns aufzulösen und aufzuzehren“, fügte aber sogleich als Warnung hinzu: „Die Christen, die in Brasilien weilten, sind nach dieser Pflanze und ihrem Duft merkwürdig lüstern geworden.“ Und der Mailänder Händler und Amerikareisende Girolamo Benzoni glaubte 1565 seine Leser vor den schrecklichen Folgen des Tabakgenusses warnen zu müssen. Ihnen würde es ergehen wie den Indianern: „Wenn sie letztlich den Mund, Rachen und den ganzen Kopf mit solchem Rauch und Dampf gefüllt, leiden sie solches alles mit standhaftem Gemüt und Schmerzen, bis sie endlich ihre unflätige Wollust und abscheuliche Begier erfüllen und durch diesen unmilden Rauch so voll und toll werden, dass sie umfallen gleich wie die unvernünftigen Tiere und daliegen, als wenn sie sinnlos und tot wären…“
Schon 1519 soll der spanische Hofhistoriograph und Aufseher der Goldschmelzer in Westindien, Oviedo, die ersten Tabakblätter nach Spanien gebracht haben , von wo aus sich die Pflanze ungewöhnlich schnell über ganz Europa, bald die gesamte Welt verbreitete. Vor allem Jean Nicot, Französischer Sonderbotschafter am Hof in Lissabon, machte sich um die Verbreitung des Tabaks verdient, indem er ihn zu Heilzwecken seiner Auftraggeberin, Katharina von Medici, empfahl (s. u.). Nachweisbar sind Tabaksamen in Frankreich 1556, in Portugal 1558, in Italien 1561, in Ungarn 1568, in England 1570. Noch im 16. Jh. gelangten Samen über die Philippinen nach Hinterindien, China und Japan, Anfang des 17. Jahrhunderts waren Tabakpflanzen auch im Orient (Türkei, Ägypten, Persien) heimisch. Afrika schließlich erhielt den Tabak bereits aus drei Himmelsrichtungen gleichzeitig, im Westen von den Portugiesen, im Süden von den Holländern und im Norden von den Arabern. War um 1560 das Rauchen noch unbekannt in Europa, Asien, Afrika und Australien (das selbst noch gar nicht entdeckt worden war von Schriftgelehrten), so wurde nur hundert Jahre später ungeachtet aller sonstigen Unterschiede in Sprache, Kultur, Moral und Essen überall auf der Welt geraucht, wogegen Kartoffeln, Tomaten oder Mais noch für Jahrzehnte niemand freiwillig zu sich nahm.

Doch nicht so sehr lasterhafte Raucher sorgten für die schnelle Verbreitung des Tabaks, sondern angesehene Mediziner wie der Professor an der Universität Sevilla, Nicolò Monardes, dessen Buch über die Wunderheilkräfte des Tabaks 1565 erschien und in viele Sprachen übersetzt wurde. Einer der wenigen Europäer, die damals schon rauchten, war der Zürcher Arzt und Botaniker Konrad Gesner (1516-1565). Er legte Tabakblätter über glühende Kohlen und sog den Rauch mittels eines Rauchtrichters ein. Und der vielleicht erste französische Tabakkonsument, Herzog Charles von Lorraine, soll bereits täglich bis zu 3 Unzen Tabak geschnupft haben.
Wirklich populär aber wurde das Rauchen in Europa durch zurückgekehrte Siedler, die sich so sehr an den Rauchgenus gewöhnt hatten, dass sie auch nach ihrer Rückkehr in die Heimat davon nicht lassen wollten. Einer von ihnen, Thomas Hariot, berichtete um 1600 über Virginia und die Lust am Rauchen: „Es gibt dort ein Kraut, das angebaut und von den Eingeborenen Uppowoc genannt wird … Die Spanier bezeichnen es als Tabak. Seine Blätter werden getrocknet und zerkleinert; die Leute brennen sie in tönernen Pfeifen, deren Rauch sie schlucken … Wir selber gewöhnten uns daran, es ihnen gleich zu tun, und bleiben auch nach unserer Rückkehr dabei und haben mancherlei seltsame und wundervolle Genüsse dabei empfunden, die zu schildern ein ganzes Buch füllen würde.“ Ab 1570 wurde daher Tabak weniger wegen seiner Heilkräfte, sondern zum genussvollen Rauchen in England eingeführt. Guter Tabak freilich war noch so selten und wertvoll, dass man ihn mit Silber aufwog.

Auch der Pirat Ihrer Majestät, Sir Walter Raleigh, hatte von einem Freund Tabak aus Virginia bekommen, ihn dem indianischen Vorbild entsprechend in der Pfeife geraucht und war begeistert. Als erfolgreicher Günstling der Königin Elisabeth I. war Sir Walter so angesehen, dass in kurzer Zeit das Rauchen in London gesellschaftsfähig, um 1600 sogar zum Universitätsfach wurde. (Universitäten unterrichteten damals sehr viel alltagsbezogener als heute. Noch im 19. Jahrhundert konnte man z. B. in Göttingen das Tranchieren studieren.) Arme bastelten sich ihre Pfeife aus halben Walnussschalen und Strohhalmen, Bürger kauften sich Pfeifen aus Ton, Reiche ließen sie sich aus Holz oder gar Silber anfertigen. Bis ins 17. Jh. blieben Pfeifen ein kostbarer Besitz, häufig gehörten sie zur Einrichtung einer „Tabagie“, einer Art Raucherkneipe, wo sie von Mund zu Mund weitergereicht wurde. Da in der Pfeife der glimmende Tabak mit dem Holz eine Verbindung eingeht und dabei einen wesentlichen Geschmacksakzent setzt, war die Auswahl des Holzes von größter Bedeutung. Frühe Pfeifen wurden aus Buchsbaum-, Palisander- oder Weichselholz gearbeitet. Seit dem 18. Jh. liefert die zerbrechliche Meerschaumpfeife aus Magnesiumsilikat trockenen, kühlen Rauch. Das geeignetste Holz für einen Pfeifenkopf, die mindestens seit 20 Jahren abgestorbene Wurzel (Bruyère) eines korsischen Heidekrauts, wurde erst im 19. Jh. entdeckt.

2. Feinde des Tabaks

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Wo auch immer der Tabak geschnupft, gekaut oder geraucht wurde, provozierte sein Genuss Widerstand, am frühesten in England. Kaum war Jakob I. 1603 auf den Thron gelangt, veröffentlichte er ein wütendes Traktat gegen das von seiner Vorgängerin geduldete Rauchen. Die Schrift „Misocapnus sive de abusu tobacci“ versammelte bereits alle Argumente militanter Nichtraucher. Rauchen sei eine Verschwendung: „Das Erbgut manches jungen Edelmannes wird ganz erschöpft und verfliegt mit dem Dampf dieses Rauches rein in nichts. Dies geschieht in der schändlichsten und tierischsten Weise, indem sich das Gut durch die Nase des Herrn verflüchtigt und man so ganze Tage, Geld, Zeit, selbst Jahre mit dem Tabaktrinken vertut.“ Darüber hinaus sei Rauchen ungesund, eine Umweltverschmutzung, barbarisch und mache die Menschen liederlich und schwächlich: „Denn genau wie hysterische Weiber ihr Leben verbringen, so kennt Ihr infolge der Erschlaffung nur noch diese eine Sorge um Euer Laster: Dass Ihr Euch wieder und wieder dem in die Nase dringenden Rauch hingeben könnt.“ Am liebsten hätte Jakob alle Raucher in die „Indianische Barbarei“ deportieren lassen, „wo sie sich ohne unseren Verdruss und Schaden zusammen mit den trunkenen Ärzten ohne Scheu voll saufen und ihre Kunst frei ausüben könnten.“
Vielleicht ist es nur ein Zufall, dass dieser erste mächtige Tabakfeind ein autoritärer Streber war, der sogar die Hinrichtung seiner Mutter in Kauf nahm, um König von England werden zu können. Gewiss kein Zufall ist es, dass sein Wüten wirkungslos blieb. Der Tabakhandel vor allem mit Virginia, wo britische Siedler ab 1612 riesige Plantagen aufbauten , wuchs schnell an und konnte doch die Nachfrage nicht befriedigen, zumal wie überall in den Kolonien auch in Virginia Frauen- und damit Arbeitskräftemangel herrschte. Auf Bitten der Siedler schickten englische Geschäftsleute 1620 insgesamt 90 Jungfrauen nach Virginia und verlangten und erhielten dafür je Jungfrau 120 bis 150 Pfund Tabak , denn Tabak war in den Kolonien das Hauptzahlungsmittel für Importe aus Europa, auch für jene Waffen, denen die Vereinigten Staaten schließlich ihre Unabhängigkeit verdankten. In Virginia und Maryland galt Tabak noch im 18. Jahrhundert als gesetzliches Zahlungsmittel.

Doch die Gier der Europäer nach Tabak blieb unstillbar, englische Seeleute überfielen daher mit Vorliebe spanische Tabakschiffe , Holländer verdienten doppelt. Nach Virginia transportierten sie Sklaven aus Afrika, von Virginia brachten sie den Tabak nach Europa, wo freilich bald die ersten Unternehmer den finanziellen Reiz des Tabakanbaus entdeckten. Bereits 1620 ließ der elsässische Kaufmann Koenigsmann Virginia-Tabak in der Nähe von Straßburg pflanzen. Da sich das Verlangen nach Tabak auch durch königliche Verbote nicht bremsen ließ, entschloss sich Jakob I. schließlich, aus der Tabakleidenschaft seiner Untertanen ein Geschäft zu machen. 1614 ließ er den Einfuhrzoll auf Tabak auf das Vierzigfache erhöhen . 1620 – der jährliche Tabakimport allein aus Virginia hatte sich in nur 4 Jahren auf 40 000 Pfund versiebzehnfacht – erklärte er den Tabakimport zum königlichen Monopol und verbot angeblich zum Schutz der Volksgesundheit jedes Säen und Pflanzen des Tabaks in England. Offensichtlich aber war es Jakob I. nicht möglich, das Anbauverbot auch durchzusetzen, denn 1643 belegte das Parlament den eigentlich verbotenen und dennoch im Lande gezogenen Tabak mit hohen Steuern. Die Wut des Volkes freilich bekam erst Jakobs Sohn Karl I. zu spüren, der das Tabakmonopol weiter ausbaute. Nachdem er von Cromwell gestürzt worden war, berichten Zeitgenossen über seine Hinrichtung, „dass die Soldaten den ernst und gefasst in steinerner Ruhe zum Richtplatz schreitenden König bespieen und ihm den Rauch in den Mund bliesen, während sie auf den Weg, den er zurücklegen musste, zerbrochene Pfeifen warfen.“
Tabakrauchen war längst zur Gewohnheit auch der Armen geworden, lindert es doch den Hunger. Um 1666, so berichtet ein französischer Reisender, gaben englische Mütter ihren Kindern statt eines Frühstückbrotes Tabak mit zur Schule, wo ihn Schüler und Lehrer in den Pausen, aber auch während des Rauchunterrichts gemeinsam rauchten.

Rigoroser noch als englische Könige gingen asiatische, osmanische und kontinentaleuropäische Potentaten gegen den Tabakkonsum vor. Japan verbot das Rauchen bereits 1609. In Kyoto gab es damals bereits zwei Raucherklubs, deren Mitglieder, junge Adelige, ihre riesigen Pfeifen wie Schwerter trugen oder von ihren Dienern hinterher tragen ließen. Als nun die Rivalität zwischen den beiden Clubs so stark wurde, dass die gegenseitigen Provokationen in Unruhen ausarteten, wurden die Raucherclubs und bei dieser Gelegenheit auch gleich das Rauchen allgemein verboten. Ab 1612 konnte in Japan das Eigentum jedes Tabakverkäufers zugunsten seines Denunzianten eingezogen werden, 1616 kam zur Gefängnisstrafe für Rauchen noch eine Geldstrafe hinzu. Allerdings galten die japanischen Anti-Raucher-Verordnungen nur so lange, bis genügend Fürsten selbst rauchten. Schon 1625 wurde der Tabakanbau wieder gestattet, um 1640 war Tabak ein Bestandteil der Gastlichkeit geworden wie der Tee, und heute noch zählen Japaner zu den leidenschaftlichsten Rauchern, deren Anfälligkeit für Lungenkrebs unerklärter Weise sehr viel geringer ist als bei den Rauchern im Westen.

Auch in China war das Rauchen verboten, zeitweise konnte jeder Tabakverkauf mit dem Tode bestraft werden. 1634 untersagte Zar Michael Feodoro in Russland das Rauchen mit der Drohung, Rauchern die Nase abschneiden zu lassen. Tabakgerichte verhängten barbarische Prügelstrafen, Verkäufer von Tabak wurden gelegentlich kastriert. In Persien ließ Schah Abbas der Große (1586-1628) Nasen und Lippen seiner rauchenden Untertanen verstümmeln. Am frechsten freilich trieb es der türkische Sultan Murad IV. während seiner Herrschaft 1623 – 1640: Als ein Schiffsbrand am 7.8.1633 sich zur Feuerkatastrophe ausweitete und in Konstantinopel 20 000 Häuser zerstörte, verbot dieser selbstherrliche Fürst unter dem Vorwand, der Brand sei auf das Rauchen zurückzuführen, dieses unter Androhung der Todesstrafe. Tatsächlich dürfte ein Feuerwerk, das Murad anlässlich der Geburt seines Sohnes abfeuern ließ, die Katastrophe ausgelöst haben. Das völlige Versagen der Verwaltung bei der Brandbekämpfung ließ die Wut in der Bevölkerung so gefährlich anschwellen, dass sich Murad veranlasst sah, das Rauchen per Dekret zur Brandursache zu erklären. Verkleidet ging er selbst an Orte, wo Tabak verkauft wurde, suchte nach Verkäufern, bot viel Geld, und sobald er den gewünschten Tabak bekam, zog er seinen Säbel und schlug dem Verkäufer den Kopf ab. Selbstverständlich handelte der Sultan nicht uneigennützig: Raucher galten damals als politische Oppositionelle, und das Vermögen jedes Hingerichteten wurde zugunsten des Sultans eingezogen. Auch schien dieser Raucherfeind ein Lustmörder gewesen zu sein. Bis zu seinem Tod im Alter von 29 Jahren soll Murad rund 100 000 Untertanen selbst getötet oder zum Tode verurteilt haben.

Franzosen und Italiener gingen pragmatischer mit Rauchern um, verzichteten weitgehend auf moralische Belehrungen und beschränkten sich darauf, die Konsumenten zu schröpfen – selbstverständlich in der Absicht, durch die Reduzierung des Tabakkonsums die Gesundheit der Untertanen zu schonen. Aus gesundheitlichen Gründen führte Richelieu 1629 in Frankreich die Tabaksteuer ein , der Herzog von Mantua ergänzte das Branntweinmonopol durch ein Tabakmonopol und vergab die Verkaufsrechte für eine anfängliche Jahrespacht von 16 900 Lire an den Geschäftsmann Giovanni Tugnoni. 1631 verbot das Parlament von Paris aus gesundheitlichen Gründen das Rauchen in den höchst ungesunden Gefängnissen , wie heute us-amerikanische Behörden Todeskandidaten sogar noch unmittelbar vor der Hinrichtung eine letzte Zigarette verweigern, eine Sturheit, die freilich nicht mit gesundheitlicher Fürsorge, sondern nur mit einem prinzipiellen Rauchverbot in us-staatlichen Einrichtungen begründet werden kann. Je irrationaler aber ein Prinzip ist, desto weniger duldet es Ausnahmen.
In Deutschland verbreiteten vor allem während des Dreißigjährigen Krieges 1618 – 1648 ausländische Soldaten, Spanier, Engländer, Holländer und Schweden die Sitte des Rauchens . Auch hier wurde es schnell ein Vergnügen nicht nur der Wohlhabenden, wie um 1650 der Jesuit und Münchner Hofprediger Jakob Balde in seiner Kampfschrift gegen den Tabak („Die truckene Trunkenheit“) feststellte: „Diss Kraut, nit stolz, ist mild und voll Erbarmen: nit Reiche nur, es liebet auch die Armen.“ . Nach Ende des Krieges aber wurde es fast überall sofort verboten. Vielerorts forderte die Obrigkeit wie in Ulm Gassen- und Marktknechte auf, alle Tabaktrinker und -schnupfer anzuzeigen, andere Städte beschränkten den Tabakverkauf (als Arznei) auf Apotheken . In München predigte Jakob Balde gegen die Raucher: „Was ist zwischen diesen und den Selbstmördern für ein anderer Unterschied, als dass diese geschwinder, jene aber sich etwas langsamer ums Leben bringen?“ Schon damals zeigte sich freilich, „dass gerade in den Orten und Gebieten, wo das Rauchen verboten war, die Sitte sich allen Widerständen zum Trotz besonders stark verbreitete“. In Deutschland gehörte Christian Hofmann von Hofmannswaldau (1617 – 1679) zu den ersten literarischen Tabakanpreisern. Unaufgeregt verteidigte er in seinem „Lob des Tabaks“ die neue Pflanze:

Rosen und Violen
Mögen Kinder holen
Jetzt zu dieser Zeit.
Das, was meinen Sinn erfreuet
Und in dieser Pfeife brennet,
Wird Tabak genennet.

Bisam (ein Moschusparfum, K. P.) muss dir weichen,
Dir ist nicht zu gleichen
Ambra noch Zibet (Parfum aus einer Drüsenabsonderung der Tibetkatze, K. P.).
Wenn dein schöner Rauch aufgeht
Und dein edles Feuer blicket,
So bin ich erquicket.

Haben böse Zungen
Viel von dir gesungen
Und dir beigewollt,
Dieses ist nicht deine Schuld;
Bleibt doch der, so alles führet,
Selbst nicht unberühret.

Das soll mich nicht treiben,
Von dir wegzubleiben,
Wenn der Pöbel sagt,
Dass mir Rauch und Dampf behagt.
Er, sein Geld und seine Tasche
Wird zu Rauch und Asche.

Nun so will ich trinken,
Weil die Sterne blinken
Und das große Licht
Durch die düstren Wolken bricht.
Ja, des Phöbus goldner Wagen
Soll mein Rauchwerk tragen.

Venus wird nicht zürnen,
Wenn an ihre Stirnen
Sich Tabaksrauch legt;
Wird sie doch auch nicht bewegt,
Wenn Vulkan, das Ungeheuer,
Machet Rauch und Feuer.

Und vor andern allen
Wird der Rauch gefallen
Dir, o Kriegsgott.
Drum hat es auch keine Not,
Weil die Sachen, so wir üben,
Selbst die Götter lieben.

Nun, ihr lieben Brüder,
Tut, was Wein und Lieder
Jetzt hat angestimmt!
Schaut, wie meine Pfeife glimmt,
Da doch meiner Liebsten Sinnen
Nicht so brennen können!

Ein wenig spät, doch gerade noch rechtzeitig besann sich auch Kaiser Leopold des gesundheitlichen Wohls seiner Untertanen und verbot 1668 jeden Tabakverkauf in Tirol außerhalb von Apotheken. Wichtiger allerdings war ihm der Erwerb eines riesigen eingezäunten Jagdgebietes, doch die Staatskasse war leer. Als ihm nun sein Oberjägermeister vorrechnete, dass die gewünschte Jagd problemlos durch die Vergabe eines Tabakmonopols zu finanzieren sei, beeilte sich seine Majestät, das Rauchen gnädigst wieder zu gestatten. Das Beispiel machte Schule, in weniger als zwei Jahrzehnten lösten fast überall in Deutschland Monopole die Verbote ab. Diese Verkaufsmonopole wurden meist an private Pächter vergeben, häufig an Juden . Besonders effektiv waren die Pächter in Frankreich. Sie stellten Agenten ein für die Jagd nach nicht-lizenziertem Tabak. Diese Tabakreiter entwickelten unter dem Vorwand der Drogenfahndung immer neue Kontrollmechanismen und wurden die Vorläufer der damals noch unbekannten Polizei. Ende des 17. Jh. verhafteten diese Agenten jährlich im Durchschnitt 2500 Männer, 2000 Frauen und 6000 Kinder. Ein Sondergericht verurteilte die Delinquenten zu Geld- und Körperstrafen, rund 300 Männer jährlich wurden auf Galeeren geschickt, auch Todesurteile kamen vor. Für Voltaire war dieses Sondergericht gegen illegale Tabakhändler eine der schlimmsten Plagen der Menschheit, nur mehr vergleichbar mit Syphilis, Pocken, Pest, Nierensteinen und der Inquisition. Das Volk jubelte daher, als 1794 der letzte Tabakpächter Frankreichs auf der Guillotine hingerichtet wurde. Die Aufhebung des Tabakmonopols in Preußen 1797 feierte ein anonymer Dichter, der abgesehen vom Tabak nicht viele Freuden des Lebens gekannt haben dürfte:

Frei wird der Tobak, wieder frei,
Ihr lieben Tobakschmaucher!
Viktoria! Der Freude weih
Sich jeder Pfeifenraucher!

Wär uns der Tobak nicht beschert,
So wär das ganze Leben
Nicht einen roten Heller wert;
Ihr mögt ihn nicht drum geben.

3. Vom Sinn des Rauchens

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Großzügig gegenüber Rauchern zeigte sich, sieht man von Eiferern wir Balde ab, die Katholische Kirche. Zwar hatte schon 1575 ein mexikanisches Kirchenkonzil das Rauchen in den Kirchen verboten, da Rauchen als Sitte des verwerflichen Indianerglaubens galt, wie aus einem Brief des Paters Nobrega aus dem Jahre 1550 deutlich wird. Der Pater klagt darin über das schwer verdauliche Essen in Amerika. Zwar gäbe es eine Pflanze, deren Rauch sehr hilfreich sei. Doch Priester und gewöhnliche Katholiken würden sie nicht rauchen, um nicht wie die Ungläubigen, die diese Pflanze sehr mögen, zu erscheinen. Er selbst könnte sie dringend brauchen, aber widerstehe der Versuchung, um kein schlechtes Beispiel zu geben. Doch immer mehr Gläubige gaben ihre Zurückhaltung gegenüber dem heidnischen Tabak auf, so dass 1588 der Provinzrat in Lima Priestern das Rauchen am Altar noch einmal verbieten musste. Im folgenden Jahr untersagte das Konzil von Mexiko in Ergänzung des Nüchternheitsgebotes jeden Tabakkonsum vor dem Zelebrieren der Messe und dem Empfang der Kommunion. Das Rauchverbot in den Kirchen war allerdings – worauf schon seine Wiederholung deutet – nicht durchsetzbar, im Gegenteil, die Unsitte breitete sich auch im spanischen Mutterland aus. Schließlich sah sich Papst Urban VIII. 1642 zum Einschreiten veranlasst:
„Da ja die Kirchen dem Gottesdienste geweihte Häuser des Gebetes sind und sich für sie daher jede Heiligkeit ziemt, kommt es mit vollem Recht uns, denen die Sorge für sämtliche Kirchen des Erdballs anvertraut ist, zu, achtzuhaben, dass von diesen Kirchen jedwede profane und unziemliche Handlung ferngehalten werde: So auch, wenn uns (wie jüngst) von einem Teile des Dekanates und des Kapitels der Metropolitankirche zu Sevilla mitgeteilt wird, dass sich in diesen Gegenden der Gebrauch des Krautes, gemeinhin „Tabak“ genannt, derart eingenistet hat, dass Personen beiderlei Geschlechtes, ja sogar Priester und Kleriker … sogar während der Feier der hochheiligen Messe sich nicht scheuen, den Tabak mit dem Munde oder mittels der Nase zu sich zu nehmen, die heiligen Linnengewänder des Heiligtumes … zu besudeln und die vorgenannten Kirchen zum großen Ärgernis der Frommen unter Missachtung der heiligen Handlungen mit dem ekelhaften Geruche zu infizieren. Daraus ergibt sich nun, dass wir, damit solch ein schmählicher Missbrauch aus unseren Kirchen ausgetilgt werde … der Gesamtheit und allen Einzelpersonen beiderlei Geschmechtes, sowohl den weltlichen als den kirchlichen, verbieten und untersagen . . ., dass jemand fernerhin in den Kirchen der erwähnten Diözese und auch nicht in deren Vorräumen und in ihrem Umkreise Tabak, sei’s in festem Zustande, sei’s zu Körnern zermahlen, sei’s in Pulverform mit dem Munde oder mit der Nase oder als Rauch durch Röhrchen oder irgendwie auf andere Art und Weise zu sich zu nehmen wage oder vor dem Kirchgang einnehme, widrigenfalls gegen Zuwiderhandelnde von selbst ohne besondere Beschlussfassung die Exkommunikation laut dem erflossenen Verbote als Strafe einzutreten hat.“ (Arch. Vatic. miscell.Arm. V. tom 218, fol.42)
Acht Jahre später erweiterte der Papst das Rauchverbot auf den Petersdom, aber nicht auf alle anderen Kirchen , so dass auch fromme Christenmenschen wie Rudolf Ludwig von Canitz (1654 – 1699) dem Rauchen nicht entsagen mussten, zumal der Dichter im Satan selbst den eigentlichen Feind des Tabaks erkannte:

Sonn und Licht hat sich verkrochen,
Und die Nacht ist angebrochen.
Soll ich nun des Tages Last,
Meine Sorgen und mein Grämen,
Auf das Lager mit mir nehmen?
Nein, ich will, um meine Rast
Zu befördern, erst die Pfeifen,
Mit Tobak gestopft, ergreifen.

Unter allen seltnen Waren,
Die man uns in vielen Jahren
Hat aus Indien gebracht,
Wird bei Jungen und bei Alten
Dieses Kraut den Preis behalten,
Weil es frohe Geister macht.
Ja, bis sich die Welt wird trennen,
Wird sein stetes Opfer brennen.

Andrer Tand der Spezereien
Kann dem Leibe nicht gedeihen.
Und was ist für Angst und Not,
Was für Kriegen und für Morden
Nach der Zeit verspüret worden,
Da des Goldes teurer Kot
Selbst in ihren eignen Hafen
Macht die Könige zu Sklaven?

Des Tobakskrauts güldne Blätter
Sind bei manchem Unglückswetter
Ein beliebtes Gegengift.
Wider Pest und Leibeswunden
Sind sie schon bewährt gefunden,
Und wenn uns ein Kummer trifft,
Können wir durch sanftes Hauchen
Sie zu unsrem Labsal brauchen.

Daß die Lust und Pracht der Erden
Und ich selbst zu nichts muß werden,
Hat mir der Tobak gelehrt,
Wenn sein zarter Dampf sich zeiget,
Der hoch in die Lüfte steiget
Und sich bald in nichts verkehrt.
Daß nun solch ein Kraut entsprossen,
Hat den Satan sehr verdrossen.

Er kann ohnedem nicht leiden,
Wenn ein Mensch in stillen Freuden
In sich selbst vergnüget ist.
Drum, des Vaters eitler Grillen
Bösen Wunsch nicht zu erfüllen,
Schmauch ich als ein frommer Christ.
Er und alle Welt mag toben:
Ich will den Tobak doch loben.

Canitz blieb mit seiner Einschätzung nicht allein, die Katholische Kirche jedenfalls fand im Tabakgenuss nichts Sündhaftes, Papst Benedikt XIII. wird sogar das Rauchverbot im Petersdom 1725 wieder aufheben, und eine vatikanische Verfügung von 1851 verbietet bis heute, den Tabakgenuss irgendwo zu verbieten , mehr noch, Rom bedroht jeden, der Anti-Raucher-Schriften verbreitet, mit Zuchthaus. Denn längst profitierte auch der Kirchenstaat vom einträglichen Tabakmonopol.
Weniger konziliant zeigten sich die Protestanten. Wie der sächsische Postkommissar und Steuereintreiber Henrici (Picander) hielten sie Rauchen und Unzucht für verwandte Laster:

Ein Pfeifchen Tobak ist ebenso gut,
Als wenn man die Taler bei Jungfern vertut.

Vor allem Schweizer Protestanten griffen hart durch. Die Stadt Zürich kündete 1667 rückfälligen Rauchern an, sie würden „entweder lediglich von Statt und Land verwisen oder mit ruthen außgehauen / oder mit einem zeichen gebrennt“. Die Berner Stadtväter ergänzten 1661 gar die zehn Gebote durch die Forderung „Du sollst nicht rauchen“ , wobei sie sinnfällig dieses Zusatzgebot unmittelbar hinter der Forderung „Du sollst nicht ehebrechen“ einordneten und das strenge Tabakverbot bis 1709 aufrecht erhielten. Die ersten Versuche einiger Kantone, statt eines Verbotes eine Besteuerung einzuführen (z. B. 1702 in Zürich zugunsten der Anschaffung von Kriegsgewehren ), scheiterten kläglich. Eine 1710 in Bern eingeführte Tabakauflage von 7,5 Batzen für jeden Raucher und Schnupfer musste nach nur einem Monat wieder aufgehoben werden. Die Empörung unter den Tabakfreunden war so groß, dass die Stadtväter eine Revolution fürchteten.
Norddeutsche Kleinstaatfürsten dagegen konnten sich auf ihre Untertanen verlassen. So soll in Lüneburg noch 1691 ein Todesurteil wegen unerlaubten Rauchens vollstreckt worden sein, ohne dass öffentliche Proteste überliefert wären. Gefängnis und öffentliche Auspeitschung jedenfalls blieben gewöhnliche Raucherstrafen im ganzen 18. Jahrhundert. Brutal führten sich schon damals die Drogenfahnder auf. So berichtete die Vossische Zeitung 1735, dass ein „Tobacks-Visitatore“ des Fürstentums Glogau einen reisenden Schmiedeknecht wegen einer kleinen Menge Tabak, die er bei sich hatte, mit einem Rohr schlug und ihn schließlich mit seinem Degen erstach. Doch auch aufrechte, national zuverlässige Deutsche wie Christian Friedrich Hunold (1680 – 1723) ließen sich durch solche Anti-Raucher-Exzesse nicht davon abhalten, weiter das Lob des Tabaks zu singen:

Und wärest du, Nicot, auch gleich kein Edelmann,
So muss die Alte Welt dir doch den Titel gönnen.
Du lehrtest sie zuerst den edlen Tobak kennen,
Das Kraut der edlen Welt, dem gar nichts gleichen kann.

Lass sein, du stehest nicht dem Frauenzimmer an,
So wird das Mannsvolk doch dich ihren Abgott nennen,
Dem täglich weit und breit viel tausend Opfer brennen.
Ja, dir wird selbst der Mund zum Tempel aufgetan.

Da raucht dein Heiligtum. Nur dieses ist nicht gut,
Dass du ein Franzmann bist und nicht ein deutsches Blut,
Damit der Tobak auch als wie die Druckerei,

Und wie das Pulver ist, ein Ruhm der Deutschen sei.
Inzwischen machest du doch eine Wundertat,
Dass Frankreich auch einmal was Guts gestiftet hat.

Die Verbundenheit im Tabakkonsum vermag sogar Erbfeinde zu vereinen, zumal die Unterschiede im Tabakgebrauch nicht sonderlich groß sind. Vor allem in England und Holland war das Tabaktrinken (Rauchen) aus Pfeifen üblich. In Deutschland widmete Johann Sebastian Bach der „Tabakspfeife“ sogar eine Kantate, wofür er einen wohl um 1700 entstandenen Text verwendete, der die Zerbrechlichkeit von Tonpfeifen zum Sinnbild menschlichen Lebens erhöhte:

„Sooft ich meine Tabakspfeife,
mit gutem Knaster angefüllt,
zu Lust und Zeitvertreib ergreife,
so gibt sie mir ein Trauerbild
und füget diese Lehre bei,
dass ich derselben ähnlich sei.

Die Pfeife stammt von Ton und Erde;
auch ich bin gleichfalls draus gemacht,
auch ich muss einst zur Erde werden,
sie fällt und bricht, eh ich´s gedacht,
mir oftmals in der Hand entzwei;
mein Schicksal ist auch einerlei.

Wenn nun die Pfeife angezündet,
so sieht man, wie im Augenblick
der Rauch in freier Luft verschwindet,
nichts als die Asche bleibt zurück;
so wird des Menschen Ruhm verzehrt
und dessen Leib in Staub verkehrt.

Ich kann bei so gestalten Sachen
mir bei dem Tabak jederzeit
erbauliche Gedanken machen.
Drum schmauch ich voll Zufriedenheit
zu Land, zu Wasser und zu Haus
mein Pfeifchen stets in Andacht aus.“

Weit weniger bedeutungsschwer sind das Tabakessen (Kauen), wie es vom 17. Jh. bis zum 2. Weltkrieg unter Seeleuten weit verbreitet war , und das Tabakschnupfen. Doch ausgehend von Spanien, wo Schnupftabak schon damals durch Kiefernnadeln, der Rinde von Steineichen oder Weinlaub gestreckt wurde , gelangte die Mode des Schnupfens an den französischen Hof und wurde durch dessen Vorbildcharakter schnell zum Statussymbol der europäischen Oberschicht. Um 1780 soll eine einzige „Königlich-spanische Tabakfabrik“ jährlich 2 Millionen Tonnen Schnupftabak produziert haben , der Anteil des Schnupfens am Tabakkonsum insgesamt betrug bis zu elf Zwölftel. Noch Napoleon hat pro Monat sieben Pfund Tabak geschnupft.

Liselotte von der Pfalz, als Gattin des schwulen Philipp von Orleans ein exotisch anmutendes deutsches Gretchen in Versailles, schimpfte gar fürchterlich auf die Schnupfer: „Nichts in der Welt ekelt mich mehr als der Schnupftabak; er macht hässliche Nasen, durch die Nase reden und abscheulich stinken. Ich habe Leute hier gesehen, die den süßesten Atem der Welt gehabt haben, und nachdem sie sich dem Tabak ergeben, sind sie in sechs Monden stinkend geworden wie die Böcke.“ Selbstverständlich war die biedere Liselotte auch eine Gegnerin des Kaffeetrinkens und der damals schicken brustfreien Damenmode. Ähnlich rigoros wie Liselotte verurteilte einige Jahrzehnte später Madame de Stael das Rauchen: „Wer Tabak raucht, riecht wie ein Schwein, wer Tabak schnupft, sieht aus wie ein Schwein, wer Tabak kaut, ist ein Schwein.“

Doch scheint der Ekel vor dem Schnupfen das private Problem empfindsamer Frauen geblieben zu sein, andernfalls wären Tabakdosen zur Aufbewahrung des Schnupftabaks nicht zu dem repräsentativen Geschenk unter Aristokraten geworden. „Zeitgenossen behaupteten sogar, man habe von einigen Ministern die Worte gebraucht, sie kosteten zwei, drei oder mehr Tabatieren.“ Tabakdosen konnten – wie auf dem Wiener Kongress 1845 – historische Entscheidungen beeinflussen: „Die Vertreter der Mächte des Nordens wollten die Siege der Revolution und des Kaiserreiches auslöschen. Talleyrand … war im Begriff seine Ruhe zu verlieren, als er aus Zufall seine prächtige Tabatiere öffnete, die üppig mit Diamanten besetzt war, und eine Prise Tabak nahm. „Die schöne Tabakdose“, sagte der Vertreter des Königs von Preußen. „Das ist ein königliches Kleinod“, fügte der Vertreter Englands hinzu. Alle begeisterten sich über die Pracht der Tabatiere. Talleyrand sagte sich darauf mit leiser Stimme: „Ich bin Sieger, ich biete ihnen stand.“ In der Tat, er reichte seine Tabatiere herum, die von Hand zu Hand ging, sie war mit ausgezeichnetem spanischen Tabak gefüllt. Jeder steckte seine Finger hinein, man nieste, man lächelte, man zeigte sich viel verträglicher. Napoleon wurde nicht weniger geächtet, aber Frankreich behauptete seine alten Grenzen.“ Nicht weniger bedeutsam war inzwischen die wirtschaftliche Bedeutung des Tabaks geworden, der manchen Staatshaushalt rettete. Als eine Tabakfeindin Talleyrand aufforderte, endlich etwas gegen den Tabakkonsum zu unternehmen, antwortete dieser: „Sie haben Recht, Madame, Rauchen und Schnupfen sind zwei Laster und ich werde mich gewiss dagegen einsetzen, sobald sie mir zwei Tugenden nennen, die der Staatskasse 120 Millionen Francs einbringen.“

Während die Hochwohlgeborenen das Schnupfen zelebrierten, wurde das Rauchen ordinär, zu einem Vergnügen des dritten Standes, der allmählich von der Pfeife zur Cigarre wechselte. Dieses Absinken des Rauchens zu einer Gewohnheit der Unterschicht hängt wohl auch mit der zur Geziertheit ausartenden Verfeinerung der Umgangsformen zusammen. Ein rauchender Mensch schien zwar nicht mehr wie vor 200 Jahren vom Teufel besessen, aber doch ein wunderlicher Anblick. Auch war die von Elias beschriebene Distanzierung vom Körper des anderen so weit fortgeschritten, dass ein gemeinsames Einatmen des Rauches besseren Herrschaften unerträglich geworden war. Der englische Schriftsteller Samuel Johnson nennt es 1773 „schockierend, Rauch aus unserem Munde in Mund, Nasen und Augen anderer zu blasen und dasselbe über sich ergehen lassen zu müssen.“
„Tabak in Stabform“ gelangte zunächst vom Süden Amerikas in den Norden, wo die Cigarros, engl. Segars, Mitte des 18. Jh. immer beliebter wurden. 1779 erhielt ein Deutscher, Peter Wendler, vom Papst die Erlaubnis, in Italien Cigarren herstellen zu lassen. 1788 gründete Hans Heinrich Schlottmann, der das Cigarrendrehen in Spanien gelernt hatte , die erste deutsche Cigarrenfabrik in Hamburg. Schlottmann muss bereits geahnt haben, wie wichtig der Mythos einer fernen, fremden Welt für die Rauchermotivation ist: Um seine Hamburger Cigarren reizvoller zu machen, ließ er sie zunächst in die USA transportieren und von dort reimportieren. Doch war Schlottmann auch ein knauseriger hanseatischer Kaufmann, daher endete die Amerikareise seiner Cigarren bereits in Cuxhaven, was den Hin- und Rücktransport wesentlich verbilligte. Trotz seiner Schlitzohrigkeit freilich ging Schlottmann pleite.

4. Revolutionäre Raucher

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Um 1805 waren Cigarren in Deutschland selten , doch bis zur 48er Revolution gewannen sie ein im Rückblick überraschendes Image. Die Cigarre als späteres Symbol des kapitalistischen Unternehmers und – bis vor kurzem – des selbstgerechten Spießers, galt damals als ungebührliche Neuerung, als Ausdruck liberaler Dreistigkeit, als Kennzeichen für Volksverhetzer und Wühler. Fürst Leopold III. von Anhalt-Dessau erlaubte daher seinen Untertanen, jedem, der auf der Straße raucht, ungestraft die Pfeife oder Cigarre aus dem Maul zu schlagen. Doch rechnete die Obrigkeit nicht mit der Solidarität unter Rauchern. Als z. B. am 2.5.1813 in Berlin ein Sergeant einem Raucher die Pfeife wegnehmen wollte, war er sofort von vier anderen „Subjekten mit brennenden Pfeifen“ umringt. Als dann im Verlauf der Auseinandersetzung noch 20 Pfeifenraucher hinzukamen, ergriff der Sergeant die Flucht.
Das Rauchen vermischte Standesunterschiede und untergrub dadurch die herrschende Ordnung: „In der Kumpanei der Raucher wurde die soziale Rangordnung unwesentlicher, und bald war es das Recht jeden freien Mannes, den anderen um Feuer zu bitten, ganz gleich welchen Standes er war.“ Die Neue Preußische Kreuzzeitung, das Organ der Reaktion, wird noch 1848 vergeblich warnen: „Die Cigarre ist ein Scepter der Ungeniertheit. Mit der Cigarre im Munde sagt und wagt ein junges Individuum ganz andere Dinge, als es ohne Cigarre sagen und wagen würde.“ Dieses revolutionäre Image verdankt die Cigarre vor allem den Cigarrendrehern, die im Vormärz die militante Avantgarde der Arbeiterbewegung bildeten. (Es ist fraglich, ob die gegenwärtige Renaissance der Cigarre ohne das Vorbild der Cigarren rauchenden cubanischen Rebellen stattgefunden hätte. Viele, die sich heute eine kostbare Cigarre aus Cuba leisten dürfen und können, lernten diesen alternativen Genuss vor zwei, drei Jahrzehnten als Revolutionstouristen oder Sympathisanten auf Cuba kennen.)

Wer rauchte, gar in der Öffentlichkeit, war zumindest ein verdächtiges Subjekt, vielleicht sogar ein Aufrührer. 1810 hat der Polizeipräsident von Berlin wieder einmal dekretiert: „Da das öffentliche Tabakrauchen auf den Straßen und Promenaden ebenso unanständig als gefährlich und dem Charakter gebildeter, ordnungsvoller Städte entgegen ist, so wird dasselbe nicht nur für Berlin, sondern auch für Charlottenburg und den Thiergarten hierdurch aufs strengste untersagt.“ Übertretungen des Verbots konnten mit fünf Talern Geld- oder bis zu achttägiger Arreststrafe geahndet werden , bei feuergefährlichem Rauchen winkte jedem Denunzianten eine Prämie von 25 Reichstalern. Ähnliches galt in Wien für alle Straßen der Innenstadt, auf der Bastei, auf allen Brücken, in der Nähe der Mautniederlagen und Magazine, in der Nähe von Schildwachen, in der Prater-Hauptallee und in Parkanlagen.
Tatsächlich forderten die Revoluzzer von 1830/31 in Berlin schon das Recht, in der Öffentlichkeit rauchen zu dürfen, obwohl das mangels Zündhölzer gar nicht so einfach war. Die ersten Streichhölzer (1805) eigneten sich nur für den Hausgebrauch, da ihr Zündkopf aus chlorsaurem Kalium und Schwefel in ein Glas mit Schwefelsäure getunkt werden musste, damit er entflammte. Ab 1832 kamen Reibhölzer zum Verkauf, die sich entzündeten, wenn sie zwischen zwei mit den Fingern zusammengepressten Sandpapierblättchen hindurchgezogen wurden. Erst die 1844 in Stockholm patentierten „Sicherheitshölzer“ waren durch das Reiben an einer präparierten Fläche entzündbar.

In einem Brief an den Astronomen und Mathematiker C. F. Gauss vom 10.8.1835 machte sich H.C. Schumacher, Herausgeber der „Astronomischen Nachrichten“, über die rauchenden Demokraten lustig: „Von der früheren sogenannten Revolution (1830 oder 31) erzählte er (Humboldt, K. P.) viel ergötzliches. So sind z. B. die eingefangenen Unruhestifter damals gefragt, welchen Grund sie denn eigentlich zu den Unruhen hätten, und was sie wollten? Sie haben geantwortet, sie wollten dreierlei:

  1. im Thiergarten Taback rauchen,
  2. dass der Kronprinz Kinder bekommen sollte,
  3. hätten sie noch einen Grund, den sie jetzt vergessen hätten, der ihnen aber wohl wieder einfallen werde.“

So blöd, wie Bildungsbürger meinen, ist das Volk gar nicht. Die „eingefangenen Unruhestifter“ empfanden das Rauchverbot nur als das, was es meistens ist, eine Disziplinarmaßnahme. Da es sich auf das überprüfbare Rauchen in der Öffentlichkeit beschränkte, konnte es nicht einmal mit dem moralischen Gebot des Verzichts gerechtfertigt werden. (Gesundheitliche Gefährdungen waren noch unbekannt.) Und im Bedarfsfall wurde das Rauchverbot von der Obrigkeit aufgehoben. Während der Besetzung von Berlin durch französische Soldaten, denen man kaum das Rauchen verbieten konnte, oder während der Choleraepidemien 1831 und 1837, als die Medizin wieder einmal die gesundheitlichen Vorzüge des Rauchens entdeckte, durfte auch in der Hauptstadt öffentlich geraucht werden. Sobald aber die Normalität wieder hergestellt war, erneuerte der Polizeipräsident von Berlin das Verbot. Immerhin 3712 Übertretungen des Rauchverbotes mussten 1845 die Behörden allein in Berlin registrieren, doch die Dunkelziffer, das gab sogar der Innenminister zu, lag sehr viel höher.

Erst in höchster Staatsnot fiel am 19. März 1848 das Berliner Rauchverbot. Als das Volk die Opfer des Barrikadenkampfes auf den Schlossplatz brachte und sich anschickte, das Schloss zu stürmen, gelang es dem jungen Fürsten Lichnowsky, sich Gehör zu verschaffen. Er versicherte der wütenden Menge, Seine Majestät habe alles Militär zurückgezogen und sich dem Schutz der Bürger anvertraut, alle Forderungen seien bewilligt. Auf die Nachfrage, ob wirklich alles bewilligt sei, soll Fürst Lichnowsky geantwortet haben: „Ja, alles meine Herren.“ – „Ooch det roochen?“ – „Ja, auch das Rauchen.“ – „Ooch im Tiergarten?“ – „Ja, auch im Tiergarten darf geraucht werden, meine Herren.“
Damit soll es dem Fürsten gelungen sein, die Menschen zu beruhigen, so dass sie alsbald „heiter gestimmt“ den Platz verließen und fortan rauchten, wo es ihnen beliebte. Siemens, Werner v., Lebenserinnerungen, Berlin 1892, S. 48 f.; s, a. Döbler, Hannsferdinand, Kultur- und Sittengeschichte der Welt, Bd. 3, München 1972, S. 303 Einem sich selbst „ruhe- und friedliebend“ nennenden Bürger freilich reichte die fürstliche Erlaubnis noch nicht. Er schrieb am 23. März seinem Polizeipräsidenten: „Euer Hochwohlgeboren wird es gewiss nicht unbekannt sein, dass von jeher der sehnlichste Wunsch der Berliner Aufhebung des Verbotes des Tabakrauchens auf den Straßen war; seit einigen Tagen ist zwar ohne polizeiliche Erlaubnis Rauchfreiheit eingetreten, aber gerade durch Aufhebung dieses höchst lästigen Verbotes könnten Sie sich den dauerndsten Grund zu einer enthusiastischen Liebe der Berliner legen.“ Diesem revolutionären Ratschlag wollte sich auch der Polizeipräsident nicht verweigern, zwei Tage später bestätigte eine offizielle Bekanntmachung die Aufhebung des Rauchverbotes in Berlin. (Die Aufhebung des Rauchverbotes war die einzige Errungenschaft der 48er Revolution, die Bestand haben sollte. Davon abgesehen siegte in allen Auseinandersetzungen der Autoritätsstaat, die Gegenrevolution formte die deutsche Zukunft.)

Doch Tabak, erst recht in Form von Cigarren, blieb teuer und selbstverständlich nur entzündbar, wenn es dem oder der Edelsten unter den Anwesenden genehm war. Gäste der Queen Victoria z. B. mussten auf Schloss Windsor Tabakrauch in die Öfen blasen, damit er durch die Kamine abziehen konnte. Ein mächtiger und entsprechend gefürchteter Raucher hingegen war Bismarck. Vom Berliner Kongress berichtete Disraeli seiner Königin Victoria: „Ich nahm seine (Bismarcks, K. P.) Einladung an. Nach dem Essen zogen wir uns in ein Zimmer zurück; er rauchte, und ich folgte seinem Beispiel … Ich glaube, damit habe ich meiner Gesundheit einen letzten Stoß versetzt, aber ich fühlte, dass es absolut notwendig sei. In einem solchen Fall erweckt der Nichtraucher den Eindruck, als wollte er die Worte des andern belauern…“
Rauchen spielt wie Essen und andere Lustbarkeiten auch in der Politik keine unwesentliche Rolle. Bismarck berichtete über Verhandlungen mit Österreich 1851:

„Bei den Sitzungen der Militärkommission hatte, als Rochow Preußen im Bundestage vertrat, Österreich allein geraucht. Rochow hätte es als leidenschaftlicher Raucher gewiss auch gerne getan, getraute sich aber nicht. Als ich nun hinkam, gelüstete michs ebenfalls nach einer Cigarre, und da ich nicht einsah, warum nicht, ließ ich mir von der Präsidialmacht (dem österreichischen Gesandten Thun, K. P.) Feuer geben, was von ihr und den anderen Herren mit Erstaunen und Missvergnügen bemerkt zu werden schien. Es war offenbar für sie ein Ereignis. Für diesmal rauchten nun bloß Österreich und Preußen. Aber die anderen Herren hielten das augenscheinlich für so wichtig, dass sie darüber nach Hause berichteten und um Verhaltungsbefehle baten. Die ließen auf sich warten. Die Sache erforderte reifliche Überlegung, und es dauerte wohl ein halbes Jahr, dass nur die beiden Großmächte rauchten. Darauf begann auch Schrenkh, der bayrische Gesandte, die Würde seiner Stellung durch Rauchen zu wahren. Der Sachse Nostitz hatte gewiss auch große Lust dazu, aber wohl noch keine Erlaubnis von seinem Minister. Als er indes das nächste Mal sah, dass der Hannoveraner Bothmer sich eine genehmigte, muss er, der eifrig österreichisch war – er hatte dort Söhne in der Armee -, sich mit Rechberg verständigt haben, denn er zog jetzt ebenfalls vom Leder und dampfte. Nun waren nur noch der Württemberger und der Darmstädter übrig, und die rauchten überhaupt nicht. Aber die Ehre und die Bedeutung ihrer Staaten erforderte es gebieterisch, und so langte richtig das folgende Mal der Württemberger eine Cigarre heraus – ich sehe sie noch, es war ein langes, dünnes, hellgelbes Ding, Couleur Roggenstroh – und rauchte sie als Brandopfer für das Vaterland wenigstens halb. Nur Hessen-Darmstadt enthielt sich, wahrscheinlich in dem Bewusstsein, zur Rivalität noch nicht groß genug zu sein.“
Geradezu liebenswert erscheint der Eiserne Kanzler in einer Anekdote über die Subjektivität von Geruchsempfindungen: „Während ein englischer Bevollmächtigter im Vorraum Bismarcks wartete, kam ein Besucher, der Graf B., mit offensichtlichem Entsetzen aus dem Zimmer des Reichskanzlers, fächelte sich Luft zu und äußerte zu den Wartenden: „Ich kann nicht begreifen, wie der Graf das aushält, dieser Tabaksqualm in seinem Zimmer zerreißt einem ja die Augen. Das war so schlimm, dass ich ihn bitten musste, das Fenster zu öffnen.“ Als nun der englische Bevollmächtigte bei Bismarck eintrat, fragte dieser: „Stört Sie das offene Fenster? Ich musste aufmachen, denn Graf B. war dermaßen parfümiert, dass ich es nicht aushalten konnte.“

5. Fast Smoke oder die Kleinste wird zur Größten

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Zum Massenvergnügen wurde das Rauchen erst durch die Zigarette: Zwar stellte die französische Firma „Bagin“ um 1860 pro Jahr noch 30 Millionen Pfeifen her, wobei Raucher unter 1600 Modellen wählen konnten , aber der Verkauf erfolgte weltweit, und gutsituierte Raucher besaßen oft Dutzende Pfeifen, während für viele Arbeiter und Soldaten schon eine einzige dieser Pfeifen unerschwinglich war. Zigaretten dagegen, die stückweise oder in 10er-Packungen verkauft wurden, kosteten nicht viel, sind überallhin mitnehmbar, bedürfen außer Feuer keiner Hilfsmittel und können schnell – zwischendurch und während der Arbeit – geraucht werden. (Eine „schnelle“ Pfeifenalternative bildet nur die kleinköpfige Shagpfeife, deren feingeschnittener Shag-Tabak Zigarettentabak ähnelt.)
Schon die „Historia naturae“ des Jesuitenpaters Nürenberg aus dem Jahre 1635 erwähnt im Zusammenhang mit den spanischen Kolonien „papelitos“, in Papier eingerollten Tabak. Die „BRITANNICA“ behauptet gar, Bettler in Sevilla hätten bereits im frühen 16. Jh. Cigarrenreste aufgesammelt, zerkleinert und in Papier gerollt geraucht. Doch erst Mitte des 18. Jh. scheint sich die Zigarette über Spanien nach Europa verbreitet zu haben, noch Casanova fand es erzählenswert, in Madrid einen Gastwirt getroffen zu haben, der „cigarritos“ rauchte.
Wiederum waren es vor allem Soldaten, die erstmalig wohl während des Krimkrieges den neuen Rauchgenuss in Europa populär machten. Bemerkenswert kritisch berichtete der Lübecker Anzeiger 1807: „Bey dem Einmarsch der spanischen Truppen in unsre Stadt sah man die meisten Soldaten Tabak, in Papier gelegt, rauchen. Diese Sitte ist aus mehreren Gründen sehr nachtheilig. Denn erstlich ist der Dampf zu heiß, zweitens kommt zu viel Rauch in den Mund, drittens ist der Rauch und die Hitze den Augen zu nahe, und viertens ist der Rauch des verbrannten Papiers am allergefährlichsten, denn dieser wirkt vorzüglich auf die Brust und die Augen.“ Das Papier, heute noch der wohl ungesündeste Bestandteil der Zigarette, war zudem bis ins 19. Jh. häufig noch lakritz- oder zuckergetränkt, bunt gefärbt und bedruckt , was die Zahl der möglichen Schadstoffe noch erhöhte.

Aber Soldaten im Feld können sich eine Zigarette zur Not auch selber herstellen, in Gefechtspausen, sogar während des Marsches rauchen. Wo immer Spanier oder Franzosen diese neue Technik praktizierten, wurde sie schnell von Verbündeten wie Gegnern übernommen. Als der starke, bis zu 50 Zigaretten täglich inhalierende Raucher Louis Napoleon („Die armen Leute, die armen Leute, was ist der Krieg doch für ein schrecklich Ding.“ ) 1852 Kaiser der Franzosen wurde, fiel ein imperialer Abglanz auf die Zigarette und machte sie auch in der besten Gesellschaft beliebt. Ungesichert, aber durchaus wahrscheinlich ist daher die Ableitung des Begriffs Smoking von einem Dinnerjackett, das ein Gentleman trug, wenn er sich zum Rauchen zurückzog. Der Typ des „Zigarettendandys“ entstand, er bezeichnete Aristokraten, die sich ganz der Aufgabe widmeten, 60 Zigaretten am Tag zu drehen und sie auch noch zu rauchen. 1862, immerhin fast 20 Jahre später als in Frankreich, wurde die erste Zigarettenfabrik in Deutschland errichtet (La Ferme) , 1865 in Österreich und den USA.
Wesentlich für den Siegeszug der Zigarette ist ihre billige, maschinelle Herstellung in industriellen Großbetrieben, die als erste Industrieunternehmen 1812 in Sevilla Frauen (Tabacaleras) einstellten. Doch anders als in der Oper waren diese Pionierinnen der industriellen Frauenarbeit nur selten Zigeunerinnen, allein ihre elenden Arbeitsbedingungen entsprachen dem Libretto. 1842 formierten sich Frauen zur ersten großen Demonstration in Sevilla gegen die sozialen und hygienischen Verhältnisse in der Tabakindustrie. Bald freilich ersetzten Maschinen die Arbeitskraft der meisten Tabacaleras.

Während eine Tabakarbeiterin 120 – 150 Zigaretten in der Stunde herstellen konnte, schaffte auf der Pariser Weltausstellung 1878 eine Cigarettenmaschine der Firma Susini (Havanna) in der gleichen Zeit 3600 Stück. Die älteste Tabakfabrik in den USA, Lorillard (gegr. 1760), bot bereits seit 1860 nur noch Zigarettentabak zum Selberdrehen an. Das erste US-Patent für eine Zigarettenmaschine, mit der Tabak auf einem fortlaufenden Papierstreifen automatisch geformt, umhüllt, verklebt und in regelmäßigen Abständen durch ein rotierendes Messer auf Zigarettenlänge geschnitten werden konnte, erhielt James A. Bonsack, dessen Maschinen ab 1883 auch in Europa aufgestellt wurden und die Zigarette zum ersten industriell hergestellten Genussmittel machten. Doch nicht nur die moderne industrielle Produktionsweise ließ die Zigarette als zeitgemäße Form des Tabakkonsums erscheinen, auch die Schnelligkeit, mit der sie bei fast jeder Gelegenheit geraucht wird, entsprach den Anforderungen einer immer schnelllebiger werdenden Zeit. Frühzeitig stellten sich daher auch die Automobilproduzenten auf die Raucherwünsche ihrer Kunden ein. Das erste Auto mit Aschenbecher dürfte eine 1914 gebaute Daimler-Vierzylinder-Limousine für König Ferdinand von Bulgarien gewesen sein. Ab 1923 baute Daimler in alle Fahrzeuge einen „elektrischen Feuergeber für Kraftfahrzeuge“ (DRP-Nr. 383 724) ein.

6. Emanzipation mit Genuss

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Am Wichtigsten für den Triumph der Zigarette aber war, dass sie immer mehr Frauen zum Rauchen verführte. Anders als in Amerika, wo nach den Berichten der Eroberer auch Frauen rauchten, war das Schnupfen, Kauen und Rauchen von Tabak in Europa mehr als drei Jahrhunderte lang ganz überwiegend ein Vergnügen der Männer geblieben, das nur adelige und unbotmäßige Frauen gelegentlich teilten. So berichtete Liselotte von der Pfalz um 1700 von Frauen, die am französischen Hof schnupften: „Es ärgert mich recht, wenn ich hier alte Wibleute mit den schmutzigen Nasen daherkommen sehe; dann muss ich gleich speien, so ekelt mir.“
Sehr viel zahlreicher sind Hinweise, dass Frauen ihre Männer und Geliebten vom Rauchen abhalten wollten. Vor allem im 18. und 19. Jh. scheinen Frauen entsprechend ihrer entsinnlichten Rolle, die ihnen das kapitalistische Patriarchat zugedacht und aufgeschwatzt hatte, Rauchern das Leben schwer gemacht zu haben. Viele Gedichte aus dieser Zeit berichten vom weiblichen Widerspruch gegenüber dem Rauchen, der freilich zumeist noch erfolglos blieb. Zu vorteilhaft muss Männern wie Joachim Beccau (1690-1755) die Wirkung des Nikotins erschienen sein, wie er sie in seinem Gedicht „An ein artiges Frauenzimmer, die ihm das Tobakrauchen wehrte“, anführte:

Vergönne, wertes Kind, dass ich die vielen Grillen
Mit diesem edlen Rauch und Dampf vertreiben mag!
Wenn sonst ein Patient in seiner Krankheit Pillen,
Klistier und Pulver braucht, so dient mir der Tobak.
Kommt mir das Fieber an, so brauch ich nicht Korallen,
Die sonst für Hitze gut. Ich stopf ein Pfeifchen ein.
Ist mir von ungefähr ein starker Fluss gefallen,
So muss dies edle Kraut mein bestes Mittel sein.
Verdirbet harte Kost mir meinen schwachen Magen,
Tut mir der Kopf, der Hals, ja selbst das Herze weh,
In summa: was mich mag für eine Krankheit plagen,
So ist und bleibt Tobak allein mein Panazee (Rezept, K. P.).
Ich kann bei diesem Rauch recht artig meditieren
und stelle mir dabei des Menschen Leben vor.
Das kann sich ja so leicht als wie der Rauch verlieren,
Es ist der Pfeife gleich und einem schwachen Rohr.
Die Asche giebet mir recht lebhaft zu erkennen,
Dass unser Körper nichts als Staub und Asche sei,
Und wenn dann der Tobak am allerbesten brennen,
So fällt mir alsobald der Liebe Feuer bei.
Das brennet lichterloh in aller Menschen Herzen
Und lässet manches Mal die Kohlen deutlich sehn;
Doch müssen manches Mal die heißen Liebeskerzen
Wie brennender Tobak in Asch und Staub zergehn.
So wirst du mich ja wohl nicht ungehorsam nennen,
Indem mich dein Verbot heißt ungehorsam sein.
Ich bleibe beim Tobak, und wirst du mir`s vergönnen,
So trink ich dieses Glas auf deine Wohlfahrt ein.

Ließ sich die Tabakgegnerin nicht überzeugen oder erweichen, musste sich der Raucher wohl zwischen Tabak und Gespielin entscheiden. Die erzwungene Abwägung scheint manchem verliebten Toren die Augen geöffnet zu haben. Wer sich freilich gegen weibliche Zucht für das Vergnügen am Tabak entschied, riskierte die Einsamkeit. Daniel Stoppes (1697-1747) „Tobaksarie“ singt ein Loblied des Knasters, um schließlich abrupt in resignativer Selbstgenügsamkeit zu enden:

Knaster ist mein Element!
Dieses kann bei trüben Tagen
Alle Feinde niederschlagen,
Die man Gram und Sorgen nennt.

Knaster ist mein Freudenpferd,
Das mit meinen Kummersteinen,
Wenn die leeren Hände weinen,
Eilends aus dem Wege fährt.

Knaster ist mein Morgenstern,
Der mich aus den Federn treibet
Und mein Frühgerichte bleibet.
Nüchtern rauch ich gar zu gern.

Knaster ist mein Abendlicht.
Sind die Lebensgeister müde,
So erhalten sie den Friede,
Wenn der Dampf die Augen bricht.

Knaster ist mein liebster Schatz,
Der hält mir beständig stille;
Kein verdammter Widerwille
Hat in unsrer Eintracht Platz.

Knaster ist mein Espagnol (span. Schnupftabak, K. P.).
Der muss meinen Reimideen
Hurtig in die Nase gehen,
Wenn ich Verse machen soll.

Knaster ist mein Medikus.
Ich darf keine Pillen brauchen,
Wenn ich von dem vielen Rauchen
In die Hosen niesen muss.

Armselige Clorinde,
Dein Wünschen trifft nicht ein!
Es wäre wahrlich Sünde,
Dir länger treu zu sein!

Das Fass der alten Liebe
Hält nun kein Wasser mehr.
Kein Auge wird mir trübe,
Und weinst du noch so sehr.

Die Freiheit ist so süße
Als nimmermehr dein Mund.
Behalte deine Küsse!
Sie sind mir ungesund.

Ich lieb ein Pfeifchen Knaster,
Des Kummers Gegengift,
Das Mithridat und Pflaster
Bei weitem übertrifft.

Sobald der helle Morgen
Mich aus dem Schlafe weckt,
So werden meine Sorgen
In Glut und Brand gesteckt.

Bei diesem Zeitvertreibe
Verraucht die Liebespein,
So dass ich schlüssig bleibe,
Dir nicht mehr treu zu sein.

Erst Anfang des 19. Jh. scheint die Sensibilisierung (bürgerlicher) Liebhaber so weit fortgeschritten zu sein, dass einige von ihnen dem Wunsch ihrer Liebsten Folge leisten und auf den Tabakgenuss verzichten. Die Konsequenz dieser Effeminisierung lässt freilich nicht lange auf sich warten. Der brave, rücksichtsvolle Gatte wird so lustlos und müde, wie es brave, rücksichtsvolle Ehegattinnen für gewöhnlich sind. Doch Carl Weisflog (1770-1828) weiß Rat. Sein Gedicht „Die Tabakspfeife“ thematisiert nicht nur die Wechselwirkung von Lust und Freiheit, sondern setzt – ungewöhnlich für diese Zeit – sexuelle Bedürfnisse auch bei der Frau voraus. In der biederen Form verbirgt sich eine überraschend moderne Haltung:

„Den Tabaksrauch“, so hört man Lina klagen,
„Kann ich nun einmal nicht vertragen;
Und stellst du, Wilhelm, nicht das Rauchen ein,
So schwer mir`s fällt: es muss geschieden sein!“
„Geschieden?“, ruft der Bräutigam erschrocken
Und blickt mit Zittern auf die blonden Locken
Und auf die Schwanenbrust der schönen Braut.
O, du vermaledeites Kraut!
Du solltest mich so ganz und gar regieren,
Den holden Engel zu verlieren?
Nein! Nimmermehr! Ich bin ein Mann,
Der um den Preis das Liebste lassen kann!
„O Lina“, spricht er, „löse nicht die Schleife
Vom schönen Bund! Ich opfre dir die Pfeife!“
Und er hielt Wort, und bald nun war
Auf Erden mehr ein glücklich Paar.
Ein glücklich Paar? Wir wollen sehen. –
Was ist der jungen Frau geschehen?
Sie seufzt. Ist das des Eheglückes Zeichen?
Sie hängt das Köpfchen, ihre Wangen bleichen.
Und er? Ihm schmeckt nicht Speis und Trank.
Die Mutter fragt: „Mein Kindchen, bist du krank?“
Verschämt schlägt sie den Blick zur Erden
Und lispelt mit verlegenen Gebärden:
„Mein Mann, ach! Der ist krank, nicht ich,
Und matter wird er täglich sichtbarlich.
Ein stiller Kummer macht ihn trüb und mager,
Und kraftlos sinkt er abends auf das Lager
Und schläft und schläft. Ach! Was mein Schweigen sagt,
Du wirst`s erraten – das sei Gott geklagt!“
Die Mutter lächelt: „Quäle nicht dein Leben!
Für solchen Kummer wird es Mittel geben.“
Und heimlich spricht sie zu dem Schwiegersohn:
„Ein Morgenpfeifchen, das erlaubt sie schon,
Und eins des Abends vor dem Schlafengehen.“
„Ist´s möglich?“ ruft er froh, und neu erstehen
Sieht man von Tag zu Tage Freud und Lust
Auf beider Wangen und in beider Brust.
Sie klagt nicht mehr; ihm mundet frisch umkränzet
Der Becher, den sie schmeichelnd ihm kredenzet …
Da plötzlich in der Nacht hört man es „Feuer!“ schrein.
Schon dringt der Qualm ins Schlafgemach hinein.
Das treue Paar, halbtot vor Schreck, entflieht
Der Flamme kaum, die ihm entgegensprüht.
„Mann rette dich!“ ruft sie. „Ich weiß, wonach ich greife!“
Sie sprach´s und rettete die – Pfeife.

Noch einen Schritt weiter in der Psychologie des Rauchens ging Ende des 19. Jh. ein anonymer Autor. Er bemühte sich gar nicht erst, das Rauchen zu rechtfertigen, sondern riet heiratslustigen Frauen, sich unter Rauchern ihren Lebenspartner zu suchen. Diese Typenlehre des Rauchers („Die Jungfrau und der Freier“) verarbeitet die gerade entstehende Modewissenschaft Psychologie zwar hausbacken, doch durchaus witzig, zumal den Charakterisierungen der verschiedenen Tabakgenießer ein gewisser Erfahrungswert und damit auch Wahrheitsgehalt nicht abzusprechen ist:

Mein Mädchen, auch für dich kommt einst die Stunde,
In der ein Mann gefühlvoll vor dir steht
Und von dir zu dem Weg im Lebensbunde
Dein Herz und deine kleine Hand erfleht.
Wenn das so kommt, dann sollst du wohl bedenken,
Wieweit an Folgen deine Antwort misst;
Denn, Kind, man kann sein Herz gar schnell verschenken,
Doch fraglich bleibt, ob er der Rechte ist.

Drum lass mich dir vor allem das empfehlen:
Senk züchtig deinen Blick und lisple lind:
„Mein Herr, ich kann es Ihnen nicht verhehlen,
Dass Sie mir – sagen wir – sympathisch sind.
Jedoch“, so sollst du innig weiterhauchen,
„Kein Mädchen kauft den Ehemann im Sack,
Drum muss ich fragen, ob und was Sie rauchen:
Cigarren? – Zigaretten? – Rauchtabak?“

Denn an dem Rauch, mein Kind, merkt man das Feuer,
Und an dem Rauchen kennt man auch den Mann:
Es ist des Wesens Spiegel und ein treuer
Gradmesser dafür, was er ist und kann.
Sagt er dir frank: „Ich rauche Zigaretten“,
Dann, liebes Mädchen, ist dein Glück gemacht,
Denn dieser ist – und darauf kannst du wetten! –
Ein Jung, der tanzen kann, der liebt und lacht.

Doch bist du mehr für abgeklärte Seelen,
Für Haus und Herd, Familienbetrieb,
Dann musst du einen mit Cigarre wählen:
Das ist der Rechte, den behältst du lieb!
Nuancenreich ist das Gebiet der Pfeife,
Drum prüfe hier bedächtig, lieber Schatz,
Damit sich deine Wahl nicht gar vergreife!
Denn dicht bei dicht wohnt hier der Gegensatz.

Als gut gilt Shag – und sicherlich, das ist er! -,
Und darum raucht ihn häufig der Poet,
Jedoch bisweilen ist auch der Philister
Vom Duft des Nasenwärmers überweht.
Die lange Pfeife ist ein Hort der Treue,
Und bist du selbst auch deftig eingestellt,
Dann nimm den Mann! – Du tust es ohne Reue:
Er ist für dich der beste auf der Welt.

Doch sagt dir einer – und dünkt sich noch feine -:
„Mein Fräulein, ich verschmähe jedes Kraut“,
Dann, deutsches Mädchen, ziehe eilig Leine,
Denn dieser Mann ist nicht für dich gebaut!
Denn der ist kühl und frei von kleinen Schwächen,
Wo doch die Frau des Mannes Schwächen braucht!
Zu diesem, kluges Mädchen, sollst du sprechen:
„Schönen Dank! Ich nehme keinen, der nicht raucht.“

Abgesehen von Pionierinnen des Rauchens wie Katharina die Große, George Sand oder die Balletttänzerin Fanny Elßler waren es französische Prostituierte und ehrbare dänische Damen, die es als erste wagten, in der Öffentlichkeit zu rauchen. Rauchende Däninnen veranlassten die dänischen Staatsbahnen, die Einrichtung von Raucherabteilen für Damen in europäischen Schnellzügen vorzuschlagen: „Die Einrichtung eines solchen Abteils scheint dringend notwendig, weil Cigarre rauchende Däninnen häufig Ziel des Spotts und unangenehmer Bemerkungen der Mitreisenden sind.“
Doch für die Mehrheit der Frauen machte erst die Einführung der Zigarette das Rauchen wirklich praktikabel. Tabakschnupfen oder -kauen, Pfeifen- oder Cigarrenrauchen wirkt eher komisch als ästhetisch. Es entsprach gewiss nicht dem idealen Frauenbild des 19. Jh. und schon gar nicht seiner Damenmode. Selbst wenn Frau sich nicht gescheut hätte, eine Cigarre zwischen ihren zierlichen Fingern zu halten, wo hätte sie ihr Rauchzeug mangels Kleidungstaschen aufbewahren, mit sich tragen sollen?
Zigaretten finden im kleinsten Täschchen Platz, wirken zierlich, fast spielerisch und galten daher lange als Rauchersatz für Damen. Erst die Zigarette erlaubte (und erlaubt heute noch) vielen Frauen, das Rauchen nicht nur als Vergnügen, sondern zugleich als Ausdruck ihrer Emanzipation zu praktizieren. Denn in der Aneignung eines lange Zeit männlichen Privilegs eroberten sich Frauen nicht nur einen Genuss, sondern auch ein Stück Teilhabe an der männlichen Raucherwelt, ihrer Kommunikation und Solidarität. Eine der ersten Damenzigaretten war die – wie alle Zigaretten damals – noch filterlose, doch mit einem rotem Mundstück versehene Marlboro, die 1902, selbstverständlich aus schwarzem Tabak hergestellt, auf den Markt kam. (Ihr Cowboy-Image bekam die – inzwischen blonde – Marlboro erst 1954. )

Nicht zufällig waren für Konservative und Reaktionäre Raucherinnen immer ein Ärgernis. Schon vor den Nationalsozialisten galt, „eine deutsche Frau raucht nicht“. Die Nazis, Vorläufer oder zumindest frühe Propagandisten von modern nur scheinenden Bewegungen wie dem Tierschutz, dem Vegetariertum, der „natürlichen“ Geburt, sahen im Frauenrauchen eine Gefährdung der Rasse. So fragte im Hamburger Fremdenblatt vom 22.3.1944 ein G. Wenzmer rein rethorisch: „Sollte Frauen das Rauchen erlaubt sein?“ Die Antwort ist klar und lautet „NEIN“, denn Rauchen schädige die Eierstöcke. Daher hätten stark rauchende Ehepaare im Durchschnitt nur 0,66 Kinder, Nichtraucherpaare dagegen 3. Und da die Nazis wie ihre modernen Nachfolger nicht ein Recht auf den eigenen Körper akzeptierten, sondern die Pflicht zur Gesundheit, besonders aber zur Gebärfreudigkeit einforderten , wurden Raucherinnen nur geringere Zigarettenrationen zugestanden. So gab es im Nationalsozialismus Raucherkarten für Männer ab 18, für Frauen erst ab 25 und – wie in den ersten Nachkriegsjahren – für Frauen nur die halbe Menge Schwangeren wurden Raucherkarten verwehrt, Restaurants und Kaffees durften an weibliche Gäste keine Zigaretten verkaufen. Noch in den 50er Jahren konnte in Deutschland eine Frau ihre gesamte Reputation verlieren, wenn sie sich auf der Straße eine Zigarette anzündete. Wie das Tragen einer Hose wurde auch das Rauchen bei Frauen als Anmaßung empfunden. Frauen, die um die Jahrhundertwende gelebt haben, müssen daher schon sehr selbstbewusst gewesen sein, wollten sie sich wie Marie von Ebner-Eschenbach (1830-1916) das Privileg des Rauchens nehmen. Ebner-Eschenbach, gut katholisch, idealistisch und adelig, schrieb und veröffentlichte ein Loblied auf die „Zigarette“, das nicht nur vom Raucherverstand zeugt (Havannazigarette), sondern auch ihre wohltuend tröstende, unsensiblen Menschen freilich kaum nachvollziehbare Funktion beschreibt:

Gewidmet sei das erste der Sonette,
In dem ich völlig mich der Form bemeistert,
Der Zauberin, die mich dazu begeistert:
Der duftenden Havannazigarette.

Nicht mühsam ward zusammen es gekleistert.
Es floss, ein Strom im selbstgegrabnen Bette,
Indessen ich des Rauches Wolkenkette
Gen Himmel blies, vor Wonne halb entgeistert.

Mir zaubert, Feine, deines Dufts Narkose
Des Traumes Blüte ins entlaubte Leben,
In meinen Herbst die Nachtigall, die Rose.

Wenn deine zarten Wölkchen mich umschweben,
Fühl ich versöhnter mich mit meinem Lose
Und lass mit ihnen sich den Geist erheben.

7. Prohibition und Patriotismus

Von Anfang an aber war der Triumph der Zigarette begleitet von Versuchen, den massenhaft werdenden Rauchgenuss einzuschränken – vor allem in den USA, wo die Zigarettenproduktion zwischen 1865 und 1895 von 20 Millionen auf 4 Milliarden Stück angestiegen war. Bereits 1884 prophezeite die New York Times: „Der Niedergang Spaniens begann mit der Mode des Zigarettenrauchens, und wenn diese schädliche Praxis erwachsene Amerikaner befällt, liegt der Ruin der Republik auf der Hand.“ Die Warnung zeigte Wirkung, 1901 hatten nur noch zwei Staaten (Louisiana und Wyoming) keine gesetzlichen Einschränkungen des Tabakvertriebs und -konsums , in Kansas, wo das Verbot des Zigarettenverkaufs bis 1927 bestehen blieb , übte man sich darüber hinaus schon damals in Correctness. Bei einem Operngastspiel mit „Carmen“ sangen die Darsteller(innen) nicht, wie im Libretto vorgesehen, vor der Kulisse einer Zigarettenfabrik, sondern vor einem Molkereigebäude. Doch zum Leidwesen der Womans Christian Temperance Union, die für die Ergänzung der Prohibition durch ein Rauchverbot kämpfte , konnte nie ein bundesweites Rauchverbot durchgesetzt werden. Und in Staaten, in denen keine Zigaretten verkauft werden durften, wurden Zündhölzer für 10 c die Schachtel angeboten – mit einer Zigarettenpackung als kostenlose Beigabe.
Da die gesundheitlichen Risiken des Rauchens noch nicht nachweisbar waren, propagierten vor allem fundamentalistische Gruppen das Rauchverbot. Bezeichnend für deren Kurzschlüssigkeit ist der Glaube von Eiferern wie Billy Sunday, Alkohol und nicht soziale Verhältnisse seien die Ursache vieler Übel. Der Evangelist Sunday begrüßte daher 1920 überschwänglich die Prohibition: „Die Herrschaft der Tränen ist vorbei. Die Slums werden bald nur mehr eine Erinnerung sein. Unsere Gefängnisse werden wir in Fabriken umwandeln und unsere Zuchthäuser in Warenhäuser und Kornspeicher. Männer werden von nun an aufrecht gehen, Frauen lächeln und Kinder lachen. Die Hölle wird für immer leerstehen.“ Selbstverständlich wollten sich Eiferer wie Sunday nicht mit der Prohibition des Alkohols begnügen (die 35 000 Amerikaner in den Tod durch Alkoholvergiftung trieb und eine halbe Million auf Polizeiwachen und in Gefängnisse ): „Die Prohibition ist gewonnen, nun geht es gegen den Tabak.“

Ähnlich dachte zu Beginn des 20. Jahrhunderts auch die oberste religiöse Autorität des Irans und verbot das Rauchen, da es mit den Geboten des Islams nicht vereinbar sei. Vorbildlich im Sinne moderner Tabakgegner verhielten sich die Nationalsozialisten, die in den 30er und frühen 40er Jahren unterstützt von der deutschen Ärzteschaft, die zumindest zur Hälfte der NSDAP angehörte, die stärkste Anti-Raucher-Bewegung der Welt anführten. Hitler war der entschiedenste Nichtraucher und überzeugt, dass der Nationalsozialismus in Deutschland niemals hätte siegen können, hätte er selbst nicht frühzeitig das Rauchen, „die Rache des Roten Mannes am Weißen Mann für seine Gabe des Schnapses“, aufgegeben. Trotzdem stieg der Tabakverbrauch pro Kopf der Bevölkerung zunächst weiter an und erreichte 1939 900 Zigaretten jährlich. Erst mit Kriegsbeginn sank der Tabakkonsum. Die Luftwaffe und die Deutsche Post hatten das Rauchen am Arbeitsplatz bereits 1938 verboten, nun wurde es auch an vielen anderen Arbeitsplätzen, in Amtszimmern, Spitälern und Erholungsheimen untersagt. 1939 verbot die NSDAP jeden Nikotingenuss in ihren Parteigebäuden, Himmler verfügte darüber hinaus, dass uniformierte Polizei- und SS-Offiziere im Dienst nicht mehr rauchen durften. 1941 folgten Rauchverbote in Straßenbahnen und Luftschutzkellern (obwohl es dort separate Raucherräume gab), 1944 in allen Stadtbahnen und Bussen. Letzteres geht auf eine Initiative Hitlers zurück, der eine Gefährdung der jungen Schaffnerinnen durch die Folgen des Passivrauchens fürchtete. Bereits seit Juli 43 durften sich Raucher unter 18 in der Öffentlichkeit nicht mehr erwischen lassen. Soldaten erhielten zwar weiterhin Tabakrationen (6 Zigaretten pro Mann und Tag), aber auf Anordnung Hitlers sollten sie beim Empfang der Zigaretten vor den gesundheitlichen Schäden gewarnt werden. Nichtraucher und weibliche Wehrmachtsangehörige erhielten anstelle von Zigaretten Schokolade oder Obst.

Mit der Niederlage Deutschlands, herbeigeführt durch die Raucher Churchill, Roosevelt und Stalin, wurde auch die Anti-Raucher-Kampagne unterbrochen, da ihre führenden Köpfe Selbstmord begingen (Hitler, Karl Astel, Leonardo Conti), in Kriegsgefangenschaft gerieten (Hans Reiter) oder hingerichtet wurden (Fritz Sauckel). Doch andere setzten den Kampf fort. 1957 untersagte die spanische Kirchenleitung Priestern, in der Öffentlichkeit zu rauchen , und sogar deutsche Kommunisten in der DDR forderten 1958 ein ideologisches Rauchverbot: „Es muss endlich so weit kommen, dass die Jugend ungetrübt, d. h. ohne ein Inhalationsgift zu ihren Lebensfragen Stellung nehmen kann.“
Wo auch immer die Prohibition praktiziert wurde, erwies sie sich als untaugliches Mittel, das Verlangen der Menschen nach Drogen einzuschränken. Letztlich hat sie, so edel ihre Motive auch sein mögen, nur Ablenkungs- und Disziplinierungsfunktion in schwierigen Zeiten. Doch werden Krisen politisch, gar kriegerisch, toleriert nicht nur dieselbe Gesellschaft, die gestern noch Verbote forderte, den Drogenkonsum, vielmehr fördert sie ihn sogar. Den Soldaten im Feld Zigaretten zu schicken, gilt überall als patriotische Tat, die Tagesrationen für amerikanische Soldaten enthielten in beiden Weltkriegen ganz selbstverständlich Zigaretten.
So hat vor allem der 2. Weltkrieg direkt und indirekt das Rauchen weltweit gefördert. Indirekt geschah dies überall dort, wo Mangel und Not herrschte, wo die Zigarette zum kostbaren Besitz, zum Tauschwert und Zahlungsmittel wurde wie im Nachkriegsdeutschland 1946/47. Damals kostete ein Gramm Gold 32 Zigaretten, ein Paar Seidenstrümpfe 48, ein Pfund Bohnenkaffee 80 und eine Leica 7000 Zigaretten. Aber auch nach der Normalisierung behielt die Zigarette ihrem im (überwundenen) Mangel gewonnenen Glanz. Viele rauchten mehr, als ihr Körper verlangte, allein aus Freude darüber, wieder uneingeschränkt rauchen zu können. (Ähnliches galt für die anderen Mangelerfahrungen, z. B. dem kriegsbedingten Fehlen von Zucker und Kaffee. Sobald diese Genussmittel wieder verfügbar waren, wurden sie fast maßlos konsumiert.)

Direkt förderten die Soldaten der westlichen Alliierten weltweit den Absatz ihrer Zigarettenindustrie, indem ihr Sieg das Image der Siegreichen auf die von ihnen gerauchten (und verteilten) Zigaretten übertrug. Obwohl mit Gold Dollar und North State schon 1936 American-Blend-Zigaretten in Deutschland erhältlich waren , spielten sie bis zur Niederlage Nazi-Deutschlands kaum eine Rolle. Erst mit den amerikanischen Soldaten eroberten blonde Zigaretten Europa. Eine „Eckstein“ rauchte man aus Lust nach Nikotin, eine Lucky Strike vermittelte zusätzlich das Gefühl, am Luxus, am american way of life zu partizipieren. Der vielleicht beste Slogan der Tabakgeschichte vom „Duft der großen weiten Welt“ beschreibt nur eine Empfindung, die lange vor seiner Entdeckung durch Werbestrategen jedem Raucher vertraut war. Und der Filter, von Winston 1954 in den USA eingeführt, versprach auch noch Genuss und Abenteuer ganz ohne Reue. Bereits 1963 besaßen über ¾ aller in Deutschland verkauften Zigaretten einen Filter , heute beträgt ihr Anteil über 95%.
Fast unbemerkt von der rauchenden Öffentlichkeit läutete im Januar 1964 ein amerikanischer Medizinalbeamter das Ende der filtergeschützten Rauchersorglosigkeit ein, als er erklärte, dass Zigarettenrauchen eine Gesundheitsgefährdung darstelle, die angemessene Gegenmaßnahmen rechtfertige. (ebd., S.194) Seither hat sich die Welt für Raucher gewaltig verändert. Durfte ein Bahnreisender in Deutschland 1965 noch in zwei von drei Zugabteilen rauchen, sind Raucher inzwischen dankbar, wenigstens noch auf einem Fünftel aller Plätze zusammengepfercht sich dem Rauchgenuss hingeben zu dürfen , ist es doch auf den meisten Flugstrecken total verboten. Und da „angemessen“ ein relativer Begriff ist und abhängt von einer Empfindungsschwelle, die um so sensibler reagiert, je geringer der Reiz ist, würde heute eine Mehrheit in vielen Ländern der Erde die Geschichte des Rauchens gerne beenden.

8. Der moderne Anti-Raucher-Fundamentalismus

Raucher am Ende des 20. Jh. leben teuer, isoliert und gefährdet. Nun sind Rauchverbote, wie die Geschichte des Rauchens zeigt, nicht neu. Unter den rationalen Argumenten gegen das Rauchen ist die Feuergefahr das älteste. Türkische Sultane wie deutsche Regionalfürsten begründeten vom 16. bis ins 19. Jh. Rauchverbote mit der Brandgefahr, die von Rauchern ausgehe.
Das Argument scheint überzeugend. Die meisten Gebäude, Brücken und Stege waren aus Holz gebaut. Eine Pfeife, unachtsam ausgeklopft, bevor die Glut erloschen war, eine unbemerkt der Hand eines Rauchers entglittene glimmende Cigarre konnten unter ungünstigen Umständen (brennbarer Untergrund und Trockenheit und Wind und Abwesenheit reaktionsfähiger Menschen) ein Feuer entstehen lassen. Bedenkt man freilich, dass damals jede Beleuchtung, jede Heizung, jedes Kochen mittels offener Feuer geschah, die Menschen also von Flammen umgeben waren, verliert das Rauchverbotsargument Feuergefahr an Überzeugungskraft. Von Rauchern wurden wohl die wenigsten Brände verursacht, häufiger waren es schon damals ökonomische Interessen, die sich – wie heute in den Mittelmeerländern – als brandgefährlich erwiesen. Die Beschuldigung der Raucher als Brandstifter war zudem einträglich und nützlich, konnte doch nicht nur durch eine Verurteilung ihr Vermögen zugunsten des Herrschers eingezogen, sondern häufig zugleich auch ein politischer Gegner verbannt werden. Vollends unglaubwürdig erscheint das Argument Feuergefahr, wenn – wie üblich – zugleich mit dem Rauchen auch das Schnupfen und Kauen von Tabak untersagt wurde. Solche Verknüpfungen entlarven den Sicherheitsvorwand als ideologische Keule.

Ebenfalls aus der Frühzeit des Rauchens stammt der Vorwurf der Vergeudung. Tatsächlich gibt es keine andere Art menschlichen Konsums, die teure Ware ähnlich spurlos verschwinden lässt. Billionen Taler, Dollar und Mark haben Raucher in Luft aufgelöst (und ein wenig Dung). Noch der feinste Kaviar aus Persien, der edelste Grappa hat einen Nährwert. Der Mensch muss essen und trinken, und isst und trinkt er das Beste und kann es sich auch leisten, gilt dies vielleicht als bedenklich, doch längst nicht mehr als verwerflich. Gut zu speisen schien auch dem sparsamsten Bürger erstrebenswert. Im frühen Kapitalismus freilich, der nichts nötiger brauchte als Kapital, galt das Auflösen von Geld in Rauch als Sünde wider die Ökonomie, erst recht, wenn der Gegenwert des Rauches ins Ausland floss.
Seltener wurden Rauchverbote mit Gesundheitsargumenten begründet. Dann ganz abgesehen davon, dass die Einschätzung der gesundheitlichen Risiken während der vergangenen Jahrhunderte häufig wechselte und das Rauchen bald für lebensgefährlich und dann wieder für gesundheitsfördernd, je während schrecklicher Epidemien gar für überlebensnotwendig erklärt und von Ärzten verordnet wurde, relativierten zu offensichtlich gleichzeitige, von den Herrschenden und ihren publizistischen Sprachrohren recht gleichgültig hingenommene Hungersnöte sowie die vielerorts tödlichen sanitären Verhältnisse die Glaubwürdigkeit des Gesundheitsargumentes.
In jedem Fall aber mussten die Rauchverbotsgründe der Herrschenden gegenüber ihren Untertanen mit Zwangsmaßnahmen durchgesetzt werden. Das unterscheidet frühere Rauchverbote von den heutigen Bestrebungen, das Rauchen immer rigoroser zu verbieten. Moderne Anti-Raucher-Kampagnen werden von der Mehrheit der Bevölkerung getragen oder zumindest geteilt – häufig sogar gegen das Votum der Regierenden.

Dass Rauchen ungesund sein könnte, ahnten Raucher und Ärzte schon früher, aber erst die moderne Medizin stellte Nachweismethoden zur Verfügung. Pioniere der Anti-Raucher-Bewegung wie Friedrich Portheine, Stifter des Goethe-Wanderpokals der Bundesärztekammer für rauchfreie medizinische Fakultäten, erkannte lange vor der amerikanischen Gesundheitsbehörde die körperlichen Gefahren des Rauchens – nämlich schon 1941 beim Anblick erfrorener deutscher Soldaten an der Ostfront: „Ich sehe noch heute, wie die Toten aufeinander lagen.“. Ihm wurde plötzlich klar, dass vor allem die Raucher unter den Soldaten im Krieg erfrieren, weil sie auf Grund verengter Blutgefäße an mangelnder Durchblutung leiden.
So zutreffend Portheines Erklärung sein mag, so offenbart sie doch eine für Gesundheitsargumente typische Verkürztheit. Auch wenn diese Soldaten medizinisch betrachtet vorzeitig wegen ihrer verengten Blutgefäße gestorben sein sollten, hat sie doch nicht das Rauchen, sondern der nationalsozialistische Welteroberungswahn in den Tod getrieben. Oder meint Portheine gar, Raucher seien für die deutsche Niederlage an der Ostfront verantwortlich, weil sie bei einem Verzicht auf den Tabakkonsum ausdauernder hätten kämpfen können?
Wer Rauchern gesundheitliche Gefahren vor Augen führt, kann – wie die Erfolglosigkeit solcher Kampagnen beweist – sie kaum überzeugen, denn die Argumente sind seltsam vordergründig. So schätzt die Weltgesundheitsorganisation, dass weltweit 1,1 Milliarden Menschen rauchen. Fast ein Viertel von ihnen, prophezeit die WHO, werde durch Rauchen sterben , zur Zeit jährlich 3 Millionen, 2015 sollen es 30 Millionen sein . Diese Zahlen wären beeindruckend, wenn Nichtraucher nicht stürben, wenn es nicht unzählige andere Todesursachen – allein die Malaria fordert jährlich 1 Million Todesopfer – gäbe. Wer aus Angst vor einer tödlichen Erkrankung nicht raucht, muss von seiner Bedeutung schon so sehr überzeugt sein, wie es General de Gaulle zweifellos war. Zu seinen wichtigsten Mitkämpfern gegen die Nationalsozialisten zählte General Leclerc (Philippe de Hautecloque). Nachdem dieser 1940 zweimal aus deutscher Gefangenschaft hatte fliehen können, meldete er sich bei de Gaulle in London, um sich an der Befreiung Frankreichs zu beteiligen. Er kämpfte so mutig in Afrika und Frankreich, dass ihm die Amerikaner den Vortritt bei der Befreiung von Paris gewährten. Nach dem Weltkrieg war Leclerc in Indochina stationiert, bis er schließlich Generalinspektor der französischen Streitkräfte in Nordafrika wurde, wo er am 28. 11. 1947 bei einem Flugzeugabsturz starb. Als de Gaulle vom Tod des Generals erfuhr, hörte er sofort und für immer auf zu rauchen, denn er glaubte, dass es nun keinen anderen Menschen mehr gab außer ihn selbst, der Frankreich „retten“ könnte.

Doch auch für de Gaulle sollte schließlich gelten: Wer nicht durch das Rauchen stirbt, stirbt an anderen Leiden, Verletzungen, stirbt vielleicht langsamer, was häufig sehr viel elendiger ist, aber stirbt. Darüber hinaus ist die auf jeder Zigarettenpackung behauptete Kausalität („Rauchen verursacht Krebs“ u. ä.) schlicht Unsinn. Es gibt keine Krankheit, die nur Raucher befällt, wie es umgekehrt keine Krankheit gibt, gegen die Nichtraucher immun wären. Rauchen kann Krebs und vieles andere auslösen wie ein kaltes Bad einen Schnupfen, Autofahren einen Unfall oder Hähnchenessen eine Erstickung zur Folge haben kann, ohne dass jemand auf die Idee käme, hier Kausalitäten herzustellen. (Eine bezeichnende Ausnahme gab es: Im 19. Jh. war es wissenschaftlich erwiesen, dass Masturbation zum Tode führt.)
Doch nicht nur die unsinnige Kausalitätsbehauptung macht Raucher stutzig, irritierend ist auch die ungewöhnliche Sorge, die ihrer Gesundheit zuteil wird. Überzeugend, ja rührend wäre diese Sorge, kämen alle Menschen in ihren Genuss, also auch jene, die sich überarbeiten, die hungern oder sich überfressen, die aus Verzweiflung krank werden. Muss die Fürsorgekonzentration auf Raucher nicht den Verdacht wecken, damit solle weniger der Raucher geschützt als das Rauchen unterbunden werden, zumal die oberste Weltgesundheitsbehörde eigenartig selektiv vorgeht: Untersuchungen, die eine Gefährdung durch Rauchen nachweisen, werden weltweit publiziert, andere Untersuchungen, die z. B. belegen, dass Haschisch weniger gefährlich ist als Alkohol und Zigaretten, jedoch zurückbehalten
Alle Gesundheitskampagnen der 60er und 70er Jahre blieben vergeblich. Trotz Werbeverzichts bzw. -verbots in Rundfunk und Fernsehen (Großbritannien 1965, USA 1971, BRD 1974), trotz totaler Werbeverbote (Italien 1962, seither ist die italienische Zigarettenproduktion um über 50 % gestiegen; 1975 Norwegen, 1976 Frankreich, 1977 Schweden, 1978 Finnland), trotz teils drastischer Warnhinweise auf Zigaretten- und Zigarillopackungen (USA 1966, verstärkt ab 1984; BRD 1982: „Rauchen gefährdet Ihre Gesundheit“) ging der Tabakkonsum in einigen Ländern wie den USA nur wenig, in anderen überhaupt nicht zurück und steigt in fast allen noch unterentwickelten Ländern.

Frustriert mussten die Tabakgegner zur Kenntnis nehmen, dass Hinweise auf Gesundheitsfolgen, die nicht jeden Raucher treffen (und wenn doch, dann als Langzeitfolgen erst in fern scheinender Zukunft), wirkungslos bleiben. Aber auch angesichts des Todes sind Patienten mit Infarkten, Krebs oder schweren Gefäßerkrankungen überraschend selten bereit, auf das Rauchen zu verzichten. Und kaum nachvollziehen können viele Nichtraucher, dass es Menschen und unter ihnen sehr viele Raucher gibt, denen eine um 4 oder 7 Jahre verkürzte Lebenserwartung im Altenheim oder gar auf einer Pflegestation nur recht ist, und die im übrigen wissen, dass der Ausschluss des Risikos Rauchen das Risiko Leben insgesamt nur wenig reduziert. Rauchern erscheint daher nur lächerlich, was täglich nicht nur an den Stränden des Gesundheitsparadieses Kalifornien zu beobachten ist: Schöne, jung sein wollende Menschen, die schon vor dem Frühstück mit Duschgel, Intimspray und parfümiertem Klopapier jeden Körpergeruch entsorgt, jedes Schwitzen unterbunden haben, braungebrannt von Sonne und Strahlern und Bräunungsmitteln, mit Muskeln, deren Aufbaustoffe in den Drugstores säckeweise verkauft werden, schwingen sich auf beinharte, scharfkantige Surfbretter und setzen sich der Brachialgewalt der Wellen aus, bevor sie ihren cholesterinfreien, kalorienarmen oder fetttriefenden, jedenfalls jede Darmbakterie abtötenden Snack verzehren und dabei den vorbeigehenden Raucher auf die Gefährdung seiner Gesundheit hinweisen.

Soziologen wir Prof. Graham (Universität Buffalo) erkannten schon in den 60er Jahren, dass Gesundheitskampagnen wirkungslos sind, dass vielmehr am Image des Rauchers angesetzt werden muss. Gelänge es, das Rauchen vulgär, Raucher gar als asozial erscheinen zu lassen, wäre die Wirkung ungleich größer. Hollywood und viele Politiker mit Vorbildfunktion (der fanatische Nichtraucher Hitler, der in seiner Anwesenheit nur Mussolini das Rauchen gestattete konnte sich daran zum Glück nicht mehr beteiligen) und Sportler stellten sich nicht immer ganz freiwillig dieser Strategie zur Verfügung und verzichteten fortan, öffentlich zu rauchen, ohne selbst das Rauchen aufzugeben. Nichtraucherorganisationen überwachen das Verhalten und erstatten gegebenenfalls Meldung. Kaum ein Kanzler oder Minister, auch wenn sie einst wie Kohl oder Blüm „Raucher des Jahres“ waren , wagt es noch, vor laufender Kamera zu rauchen. Wer es sich dennoch erlaubt, wie 1997 Japans damaliger Ministerpräsident Hashimoto, kann verklagt oder wie Königin Margrethe von Dänemark öffentlich beschimpft werden, sie sei mit ihrer Gewohnheit, Gift zu versprühen, für die Jugend ein denkbar schlechtes Beispiel . Die New York Times forderte Arnold Schwarzenegger auf, das Rauchen von Cigarren zu unterlassen , und als James S. Tisch sich um den Vorsitz in einer der größten karitativen Organisationen New Yorks bewarb, stieß er auf vehementem Widerstand, weil er Geschäftsbeziehungen zu einer Tabakfirma unterhält: „Moralität, Ethik, das jüdische Gesetz gegen Selbstzerstörung und der gesunde Menschenverstand legen nahe, dass es als abstoßend gelten muss, wenn ein Tabak-Funktionär als Präsident und „role model“ einer jüdischen Föderation amtiert.“ Tisch ist übrigens Nichtraucher, aber in Wahrheit ging es bei dieser Auseinandersetzung gar nicht um Tabak, sondern um einen Posten.

Bislang vergeblich allerdings kämpfen Anti-Raucher-Gruppen für die Verbannung des Tabaks aus Spielfilmen. Sah es Anfang der 90er Jahre noch so aus, als würden nur mehr Bösewichte auf der Leinwand rauchen und – mittels digitaler Technik – bald eine rauchfreie Fassung von „Casablanca“ erstellt werden, scheint die Zigarette zumindest in schrägen, auch sonst nicht ganz korrekten Filmen wieder als dramaturgisches Mittel akzeptabel. Der Eifer der gewiss gutmeinenden Kontrolleure wirkte allerdings auch zu lächerlich, wenn sie – z. B. die National Lung Association – beklagten, dass in „Pulp Fiction“ geraucht wird, aber kein Wort darüber verloren, dass in diesem Film ein Drogenabhängiger mit einer Überdosis Heroin umgebracht wird, ein Kopf explodiert, zwei Männer mit einem Samurai-Schwert geköpft werden … . Eine derartige Fixierung auf das Grundübel Rauchen empfinden auch viele Nichtraucher als wahnhaft.
Nicht mehr lächerlich sondern unheimlich ist es, wenn im Stile totalitärer Diktaturen die Tabuisierung des Rauchens Lebensgeschichten verfälschen kann, ohne dass sich Widerspruch regt. Zwar gibt es von Franklin D. Roosevelt kaum ein Foto ohne Zigarette und sogar sein offizielles Autogrammfoto zeigt ihn rauchend, doch keine der vier Roosevelt-Skulpturen seines im Mai 97 eingeweihten Memorials in Washington stellt den Präsidenten mit Zigarette dar. (Erst im letzten Augenblick fiel dem Bildhauer Neil Estern ein, dass es auch korrekter wäre, die First Lady Eleonore ohne ihren typischen Pelzkragen zu modellieren) Und die französische Postverwaltung ließ – wie einst Stalin Trotzki – die Zigarette aus dem Malraux-Foto wegretuschieren, das als Vorlage einer Gedenkbriefmarke diente.
Opinion leader, Idole als Nichtraucher erscheinen zu lassen ist aber nur die Voraussetzung der Diffamierungsstrategie, denn wie Gabriel Laub feststellte: „Der Krieg wird nicht gegen das Rauchen geführt, sondern gegen die Raucher, um sie zu Menschen einer niedrigeren Sorte abzustempeln.“
Dies kann durch simple Beschimpfungen erreicht werden im Stile Lea Rosh´s: „Ich bin inzwischen für absolutes Rauchverbot … Ich bleibe dabei, dass es ein Akt von Intelligenz ist, das Rauchen zu lassen … So unverschämt, egoistisch und umweltverschmutzend verhalten sich übrigens nur Raucher. Deshalb bin ich dafür, das Rauchen unter Strafe zu stellen… Die zunehmende Isolierung der Raucher kann ich nur begrüßen.“ Oder durch Verweise auf Texte von Raucherrenegaten wie Leo Tolstoi, der behauptete: „Das Nikotin schläfert das Gewissen ein. Das Bedürfnis zu rauchen wächst mit dem Wunsche, Gefühle der Reue zu ersticken. Das Rauchen hat überhaupt den Zweck, die Intelligenz zu umnebeln. Das Rauchen ist die beste Vorbereitung zu jeder schlechten Tat, zu Mord und Diebstahl, zu Spiel und Unzucht.“

Doch derartige Ausfälle beeindrucken nur Glaubensgenoss(inn)en, schließlich kennen sogar die meisten nichtmilitanten Nichtraucher Raucher, die durchaus intelligent, bescheiden, sozial und umsichtig sind. Erfolgversprechender ist es, Nichtraucher durch den Appell an ihre eigenen Interessen zur Raucherablehnung zu motivieren. Dies geschah zunächst durch den Versuch, dem Rauchen ungeheure soziale Folgekosten anzuhängen. Allein für die USA wurden die durch Rauchen entstehenden Krankheitskosten auf 50 Mrd. $ jährlich geschätzt . Noch teurer soll jeder deutsche Raucher der Gesellschaft kommen. In der ARD-Sendung „Raucher raus“ (4.2.98, 21.45 Uhr) bezifferte ein Dr. Helmut Weber den volkswirtschaftlichen Schaden durch Rauchen auf 80 Mrd. DM jährlich. Inzwischen freilich haben die USA wieder die Weltspitze erreicht und die Schätzung der Raucherfolgekosten auf 97,2 Mrd. $ jährlich angehoben (http://www.lungusa.org). Dieser Berechnung zufolge würde jede Zigarette soziale Folgekosten von 20 Cents verursachen.

Abgesehen davon, dass dieses Kostenargument an unmenschliche Nazirechenexempel erinnert, in denen z. B. das Durchfüttern Behinderter in Relation gesetzt wurde zu den Wohnungsbaukosten für kinderreiche Familien, ist es auch noch falsch. Stimmt nämlich die Annahme, dass Raucher häufiger erkranken und früher sterben als Nichtraucher, verursachen sie, wie eine im New England Journal of Medicine im Oktober 97 veröffentlichte Untersuchung nachweist, auf Dauer geringere Krankheitskosten als Nichtraucher. Auch nehmen sie weniger Rentenleistungen in Anspruch, so dass, berücksichtigt man noch die jährlich über 20 Mrd. DM Steuereinnahmen aus dem Tabakkonsum, Raucher den Sozialstaat sogar noch subventionieren – immer vorausgesetzt, die propagierte Todesrate von Rauchern entspricht der Wirklichkeit.
Obwohl solche realistischen Berechnungen kaum die Öffentlichkeit erreichen, erwies sich auch das Kostenargument als wenig wirksam. Es gibt nicht nur zahlreiche andere Bevölkerungsgruppen wie z. B. die Fettleibigen, deren Krankheitskosten auf astronomische Summen hochgerechnet werden können. Die Fettleibigkeit z. B. soll allein die Schweizer Volkswirtschaft mit 3,87 Mrd. Franken jährlich belasten . Jeder Arzt- und Apothekenbesucher weiß selbst ganz gut, wie viele oft unnötige Versicherungsleistungen er in Anspruch nimmt. Entscheidend aber ist, dass Gesundheitskosten von dem Einzelnen wie eine Steuer bezahlt und daher nicht wie Miet- oder Transportkosten nachgerechnet werden. (Im übrigen ist dies gut so, denn würden Versicherungsnehmer die Kosten der Intensiv- und Transplantationsmedizin, wie sie von der ganz großen Mehrheit nie in Anspruch genommen wird, kennen, gäbe es die Hochtechnologiemedizin bald nicht mehr.)

Ähnlich unfassbar und daher wenig relevant ist auch das Umweltargument, das Anti-Raucher-Initiativen versuchsweise anführten gegen den Tabakanbau: „Allein das Trocknen der jährlichen Ernte Brasiliens verschlingt pro Jahr rund 60 Millionen Bäume, für Afrika schätzt man, dass zur Verarbeitung von einem Hektar Tabak der Bestand eines Hektars Baumsavanne gefällt werden muss.“
Wer am Kaminfeuer sitzt in seinem Schaukelstuhl und Katalogstapel durchblättert zur Auswahl eines neuen Holzfußbodens und einer Wandvertäfelung, sich gelegentlich in Papiertaschentücher schnäuzt und Flecken nur mit der Haushaltsrolle beseitigt etc., muss schon eine sehr spezifische Sensibilität besitzen, um Rauchern den Verbrauch des nachwachsenden Rohstoffes Holz anzulasten. Nein, wirklich Erfolg versprechend ist nur eine Strategie, die jeden Nichtraucher an seinem eigenen Interesse packt. Sie wurde in der Gefahr des Passivrauchens gefunden.
Nach Angaben des deutschen Krebsforschungszentrums Heidelberg sterben in Deutschland jedes Jahr mindestens 400 Nichtraucher an Lungenkrebs, weil Mitbüger(innen) rauchen. Rechnet man weitere angeblich durch Passivrauchen verursachte tödliche Krankheiten hinzu, erhöht sich die Zahl nach Schätzung des Robert-Koch-Instituts in Berlin auf 3 – 4000 Noch beeindruckendere Zahlen stammen aus den USA. Dort sterben jährlich rund 4000 Passivraucher an Lungenkrebs und rund 50 000 an Herzversagen, weil sie unfreiwillig Tabakrauch einatmen müssen. Der Abgeordnete Häfner (Bündnis 90 / Die Grünen) bezichtigte daher Raucher der „fahrlässigen Tötung“ von Passivrauchern. Vor allem Kinder, so warnt die Nichtraucher-Initiative Deutschland (Unterschleißheim) seien gefährdet. So stürben in Deutschland jedes Jahr etwa 1500 Säuglinge, weil ihre Mütter vor der Geburt und während der Stillzeit rauchen.
Noch hat niemand in Deutschland öffentlich seine Meinung geäußert über die Auswirkung des Passivrauchens auf Haustiere, vor allem auf Hunde, Katzen, Kanarienvögel, doch Hawaii verbot bereits 1996 das Rauchen an seinen Stränden, weil immer mehr gefangene Fische krebskrank waren. (Fast alle Zeitung haben diese Nachricht veröffentlicht in Deutschland und den USA. Meines Wissens kam kein einziger Nachrichtenredakteur auf die Idee, die Konzentration der Giftstoffe aus vielleicht 100 000 Kippen in einigen Milliarden Tonnen Wasser allein im Küstenbereich abzuschätzen und die Stichhaltigkeit der Begründung auch nur in Frage zu stellen. Im Rahmen eines anerkannten Vorurteils ist noch der größte Blödsinn plausibel.)
Am 22. 1. 1997 hat nun auch das Bundesverfassungsgericht festgestellt: „Es ist allgemein anerkannt, dass das Rauchen gesundheitsschädlich ist. Unter Rauchern und Nichtrauchern gibt es kaum jemanden, dem diese Gefahren gänzlich unbekannt wären Das Rauchen tötet mehr Menschen als Verkehrsunfälle, Aids, Alkohol, illegale Drogen, Morde und Selbstmorde zusammen.“
Diese Aufzählung stammt von der IX. Weltkonferenz über Tabak und Gesundheit vom 10. bis 14. Oktober 1994 in Paris und wurde u. a. auch in den New Yorker U-Bahnen plakatiert . US-Präsident Clinton, der das Rauchen am liebsten verbieten würde, aber doch gerne mit Cigarren auf eine Art spielt, die ihm beinahe sein Amt gekostet hätte, ergänzte die Aufzählung noch durch die Todesursache Feuersbrünste.

Nun ist es tatsächlich sehr schwierig, die Auswirkungen des Rauchens auf Raucher und Nichtraucher zu quantifizieren, eine Kausalität zu belegen. Kein Mensch weiß wirklich, wie viele Menschen weltweit an Verkehrsunfällen sterben, obwohl die Opfer theoretisch genau gezählt werden könnten. Niemand kennt die Zahl der AIDS-Toten, zumal niemand an AIDS stirbt, sondern an Krankheiten, denen gegenüber der AIDS-Patient keine Abwehrkräfte besitzt, die aber auch ohne die Immunschwächekrankheit tödlich enden können. Alkohol kann zu unzähligen Todesarten führen, zu Leberleiden und Fensterstürzen, zu Schlägereien, zum Erfrieren usw. Das Ausmaß und damit die Opferzahlen des illegalen Drogenkonsums weltweit sind noch weniger bekannt als die Größe der Anbaufläche für illegale Drogen, mancher natürlich scheinende Tod ist ein Mord oder Selbstmord, entsprechend vage müssen alle Schätzungen bleiben. Aber das Deutsche Bundesverfassungsgericht weiß: „Rauchen tötet mehr Menschen als Verkehrsunfälle, Aids, Alkohol, illegale Drogen, Morde und Selbstmorde zusammen.“ Und es fügt hinzu: „Im Ergebnis ist nach heutigem medizinischen Kenntnisstand gesichert, dass Rauchen auch die Gesundheit der nicht rauchenden Mitmenschen gefährdet.“
Wenn ein Gericht vage, nur geschätzte Zahlen nicht hinterfragt, sondern ohne Einschränkung behauptet, dass ihre Summe kleiner sei als die geschätzte Zahl der Menschen, die an den Folgen des Rauchens sterben, deuten die vorsichtigen Verklausulierungen bezüglich des Passivrauchens („Im Ergebnis“, „nach heutigem Erkenntnisstand“, „gesichert“, „gefährdet“) das Fehlen jeglichen gesicherten Wissens an. Tatsächlich gibt es keinen Nachweis, dass Menschen am Passivrauchen gestorben sind, nur statistische Korrelationen, die unterschiedlich interpretiert werden können. Wenn daher eine Langzeituntersuchung an 650 Lungenkrebspatienten mit dem Ergebnis, dass Passivraucher keinem signifikant höherem Risiko ausgesetzt sind als sonst irgendjemand, von der Weltgesundheitsorganisation zurückgehalten wird , muss der Eindruck der Manipulation, des Missbrauchs von Wissenschaft als Bestätigungsagentur aufkommen.

Doch solange nur der geringste Verdacht besteht, dass Rauchen Nichtraucher gefährden könnte, sind Ironie und Besserwisserei unangebracht, alle erdenklichen Schutzmaßnahmen selbstverständlich. Die Einrichtung rauchfreier Zonen in Transportmitteln, Restaurants, Ämtern etc. wäre technisch leicht lösbar und aus der Tabaksteuer finanzierbar. Man muss nur einmal erster Klasse geflogen sein, um die Leistungsfähigkeit von Luftreinigungssystemen zu kennen. Gewiss könnten solche Systeme auch auf den billigen Plätzen für frische Luft sorgen. Betrachtet man jedoch die jüngste Geschichte des Rauchens, findet man keinen Versuch technischer Rauchentsorgung, nur Separierungen und Verbote:

1971 United Airlines trennt als erste Fluggesellschaft Raucher von Nichtrauchern.
1972 Arizona erlässt als erster Staat der USA Bestimmungen zum Schutz der Nichtraucher.
1973 Die zivile Luftfahrtbehörde der USA fordert separate Nichtraucherbereiche in Flugzeugen. Die Interstate Commerce Commission hebt die Unterteilung von Eisenbahnwaggons in Raucher- und Nichtraucherabteile auf. Statt dessen werden Nichtraucherwagen eingeführt, in denen das Rauchen ebenso strikt verboten ist wie im Speisewagen.
1977 Dulles International Airport verbietet das Rauchen in allen mobilen Aufenthaltsräumen des Flughafens.
1979 Die zivile Luftfahrtbehörde verlangt eine besondere Trennung aller Pfeifen- und Cigarrenraucher in Flugzeugen. Die meisten Fluggesellschaften verbieten daraufhin das Rauchen von Pfeifen oder Cigarren an Bord.
1980 TWA und Pan Am verlegen die bisher auf einer Seite des Flugzeuges offerierten Raucherplätze in die hinteren Reihen.
1981 Die erste Nichtraucherkneipe wird in Dallas eröffnet. Außer Eastern Airlines verpflichten sich alle amerikanischen Fluggesellschaften, Warteräume für Nichtraucher einzurichten und das Rauchen in der Umgebung der Schalter zu verbieten. New Hampshire verbietet das Rauchen auf allen öffentlichen Plätzen mit Ausnahme besonders gekennzeichneter Bereiche. (Bis dahin konnte das Rauchen nur in besonders gekennzeichneten Bereichen verboten werden, war darüber hinaus aber erlaubt.)
1985 Um das Rauchen auf den Flugzeugtoiletten zu unterbinden, werden Rauchmelder eingebaut. Aspen (Col) verbietet als erste Stadt das Rauchen in allen Restaurants. Die Weltgesundheitsorganisation WHO fordert in ihrem gesundheitspolitischen Konzept den aktiven Nichtraucher, die Anerkennung des Nichtrauchens als Norm und eine rauchfreie Gesellschaft im Jahre 2000.
1987 Bei den Betriebsratswahlen des Siemens-Konzerns in München wird auch ein Vertreter einer Nichtraucher-Liste gewählt.
1988 In New York muss mindestens die Hälfte aller Plätze in Restaurants, Büros, Ämtern für Nichtraucher reserviert sein. Verstöße gegen das Rauchverbot können mit 15 Tagen Gefängnis oder 250 $ Geldstrafe geahndet werden. Air Canada verbietet das Rauchen auf allen Transatlantikflügen. Auf USA-Inlandsflügen, die nicht mehr als zwei Stunden dauern, wird das Rauchen untersagt.
1990 Auf allen USA-Inlandsflügen und in allen zwischenstaatlichen Bussen wird das Rauchen verboten. In Russland brechen Unruhen aus, weil die Versorgung mit Tabak und Zigaretten nicht funktioniert. Die USA schicken 32 Milliarden Zigaretten zur Beruhigung. Air France verbietet das Rauchen auf allen Inlandsflügen und auf den meisten innereuropäischen Verbindungen.
1993 Als erster Staat der USA verbietet Vermont das Rauchen auf allen Arbeitsplätzen, nur Restaurants und Bars bilden noch Ausnahmen. Los Angeles verbietet Rauchen in allen Restaurants. Amtrak verbietet das Rauchen in den meisten Zügen.
1994 Rauchverbot in allen französischen Gaststätten (spielt de facto keine Rolle)
1995 Kalifornien und Utah verbieten das Rauchen in allen öffentlichen Gebäuden mit Ausnahme von Bars, in Utah ist Nikotingenuss zudem „per Gottesbeschluss“ untersagt. New York verbietet das Rauchen in allen Restaurants mit mehr als 35 Plätzen. Kalifornien untersagt das Rauchen an allen Arbeitsplätzen.
1996 US-Präsident Clinton erklärt Nikotin zum süchtig machenden Rauschgift.
1997 In Deutschland kann die Übertretung eines betrieblichen Rauchverbotes selbst bei langjähriger Betriebszugehörigkeit ein Kündigungsgrund sein. Von 98 in Deutschland lieferbaren Büchern zum Thema Rauchen sind 40 Ratgeber, mit dem Rauchen aufzuhören. US-Präsident Clinton verbietet das Rauchen in allen Amtszimmern der Behörden und Ministerien in Washington. Wer in den USA in einem besonderem Raucherraum raucht, darf die Türe erst einige Zeit nach dem Rauchen wieder öffnen, damit kein Rauch mehr entweichen kann. Zu frühes Öffnen kostet 100$ Strafe. Beim Kauf von Zigaretten kann der Ausweis eines Käufers kontrolliert werden.
1998 Kalifornien gestattet das Rauchen nur mehr in Kneipen, die alleine vom Besitzer oder von der Besitzerin geführt werden, in den Lokalen und Casinos der Indianerreservate, in den eigenen vier Wänden, im eigenen Auto und in freier Natur. Bei einem Rockkonzert in den USA werden 80 Menschen verhaftet, weil sie rauchten. Der deutsche Bundestag lehnt mit 336 zu 256 Stimmen ein Raucherschutzgesetz ab. Das Gesetz sollte Rauchen in Bahnhöfen und Flughäfen generell verbieten, in öffentlichen Räumen und am Arbeitsplatz, wenn eine Beeinträchtigung für Nichtraucher ausgehen könnte. Vorgesehen waren Bußen bis DM 5000. Das Gesetz, so erklärten seine Initiatoren/innen sollte vor allem Kinder schützen (die freilich weniger im öffentlichen Raum dem Rauch ausgesetzt sind als zu Hause, wo das Rauchen noch erlaubt bleiben sollte.) Verschiedene Umfragen vor der Beratung des Gesetzes brachten unterschiedliche Ergebnisse. Laut GfK Marktforschung Nürnberg wollten 61 % der Bundesbürger ein Gesetz zum Schutz der Nichtraucher, laut Infratest Burke AG lehnten 78 % ein solches Gesetz ab. Über 100 000 Bundesbürger beteiligten sich an der TED-Umfrage während der ARD-Sendung „Raucher raus“, 59,6 % votierten für das Gesetz, 40,4 % dagegen. Weil die Piloten der zypriotischen Fluggesellschaft „Cyprus Airways“ nicht auf Zigaretten verzichten wollen, werden die geplanten Nichtraucher-Flüge gestrichen.

Rauchverbote lassen sich so leicht durchsetzen, weil sie im Interesse der Betreiber von Transportunternehmen, Gaststätten, öffentlichen Gebäuden liegen, spart doch ein Rauchverbot Reinigungskosten. Abhilfe schaffen könnte nur die Entdeckung von Raucherflügen, Raucherkneipen etc. als Marktlücke. Wo allerdings staatliche Rauchverbote existieren (z. B. bei USA-Inlandsflügen), sind dafür aufwendige Club-Konstruktionen erforderlich.
Erst recht willkommen ist die Rauchverbotsdiskussion Politikern, eröffnet sie doch Wirkungsfelder, die Aktivitäten erlauben, die von der Perspektivlosigkeit in wirklich wichtigen Bereichen ablenken. Im gleichen Maße, wie sich in den USA das Rauchen von einer Privatsache zu einer res publica entwickelt hat, wurden soziale Skandale wie Armut zur Privatsache. Dies gilt freilich nicht nur für den Nichtraucherschutz. Die meisten Schutzbewegungen (Tiere, Umwelt, Kinder etc.) sind nur eine entpolitisierte Form gesellschaftlichen Engagements, was sie in ihrer Wirkung freilich eminent politisch macht.

Parallel zur Separierung und Verdrängung des Rauchers vollzog sich eine Hysterisierung von Teilen der Öffentlichkeit. Kinder greifen begierig die Möglichkeit auf, sich als Erzieher von Erwachsenen zu betätigen. Schon gibt es Mütter und Großmütter, die es nicht mehr wagen, im Blickfeld ihrer Kinder und Enkel zu rauchen. Auch viele Erwachsene fühlen sich zu Volkserziehern berufen. Harmlos noch, was mir in einem Straßenkaffee passierte. Als ich mir nach einer halben Stunde eine zweite Zigarette anzündete, stand ein Paar am Nebentisch auf. Während sie die Terrasse verließen, rief mir der Mann zu: „Ich hoffe, dass Sie an Krebs sterben werden.“ Lächerlich wirkt die plakatierte Warnung New Yorker Off-Broadway-Theater, wenn bei einer Aufführung auf der Bühne geraucht wird. Und jener Ehemann (69), der seine Ehefrau (67) nach 34 Jahren Ehe verklagte, weil sie nicht mit dem Rauchen aufhören wollte HAMBURGER ABENDBLATT v. 27.8.98, S. 28, kennt gewiss noch andere Mittel, seine Frau zu unterdrücken. Ein Skandal dagegen ist, dass in den USA Raucherinnen das Sorgerecht für ihre Kinder verweigert werden kann Wirklich schwerwiegend aber sind die Angriffe militanter Nichtraucher auf die körperliche Unversehrtheit von Rauchern. Als ein Raucher in den USA in einer Gaststätte trotz Aufforderung nicht mit dem Rauchen aufhörte, wurde ihm eine Cigarre angeboten, in der ein Sprengkörper versteckt war, der beim Anzünden der Cigarre explodierte und ihm den Kopf wegriss. In New Hampshire erschoss ein Taxifahrer seinen Fahrgast, weil dieser nicht auf das Rauchen verzichten wollte , und in München erstach ein Rentner einen Mann in einem U-Bahn-Eingang, weil er trotz Rauchverbotes rauchte. Die Todesstrafe für Raucher, in vordemokratischen Zeiten von China bis Lüneburg verhängt, wird heute in den selbsternannten Garantiestaaten für die weltweite Durchsetzung sogenannter Menschenrechte in Selbstjustiz vollstreckt.

Doch interessanter als die Auswirkungen durch beflissene oder verrückt gemachte Vollstrecker sind die wahren Motive aller Anti-Raucher-Kampagnen. Ihre Irrationalität und Aggressivität offenbaren Ängste, Unsicherheit. Raucher/innen scheinen vor allem die Anständigen, Gesundheitsbewussten, Anpassungswilligen, Verzichtbereiten zu provozieren, ihnen sind sie ein Ärgernis. Wie schon seit Jahrtausenden in autoritär strukturierten Gesellschaften jede lustvolle, aber darüber hinaus zwecklose Sexualität, also der pure Genuss bekämpft wurde (zuletzt die lt. unzähliger medizinischer Gutachten tödliche Masturbation), wird seit der Entdeckung des Tabaks mit allerdings wechselnder Intensität das Rauchen, Schnupfen oder Kauen verdammt als zwecklose Handlung – heute erst recht unter einem Zeitgeist, der wieder einmal den Verzicht als gut, den Verbrauch als böse brandmarkt. Dabei dient der Tabak nur als Katalysator, der durch jede andere Droge, jedes andere Vergnügen ersetzt werden kann.
Die Geschichte des Rauchens ist noch zu kurz, um eine Gesetzmäßigkeit im Wellenverlauf der Anti-Raucher-Kampagnen feststellen zu können. Jürgen von Troschke vermutete: „In einer Zeit, in der der Staat immer drängender gefordert ist, Stellung zu nehmen und zu reagieren auf die allgegenwärtigen Bedrohungen und die anwachsenden Umweltgefahren, ist politisch gesehen das Thema Rauchen ideal, um den Anschein zu erwecken, als ob letztlich der einzelne Bürger schuld sei und alle Probleme gelöst wären, wenn er nur nicht so leichtfertig mit seiner Gesundheit umgehen und seine oberflächlichen Befriedigungen durch Genussmittel einstellen könnte.“ Ersetzt man Gesundheit durch Müll und Genussmittel durch Verpackung, eignet sich dieser Erklärungsansatz vorzüglich zur Analyse der Müllvermeidungs- und Mülltrennkampagne, im Falle des Rauchens aber greift er zu kurz.
Askese scheint mir ein besserer Schlüsselbegriff zum Verständnis des Phänomens. Das moderne Gesundheits- und Körperbewusstsein widerspricht dem nur scheinbar, entstammt es doch einer nur modisch kaschierten Körperfeindlichkeit. Wer joggt oder Fitnesstraining macht, liebt nicht seinen Körper, sonst würde er ihn nicht so quälen. (Indianer bewegten sich nur, wenn es notwendig war, ansonst ruhten sie.) Wer sich Schönheit antrainieren will, findet sich nicht schön, wer sich dauernd um seine Gesundheit sorgt, traut seinem Körper nicht.
Asketische Körperfeindlichkeit ist eng verwoben mit einem Gefühl der Sinnlosigkeit des Lebens. Es ist ein Kennzeichen jeder Spät- und Übergangsphase, dass die Kraft zur Gestaltung fehlt, nur mehr Erlösung von allem Übel erhofft wird im Verzicht, in der Askese. Zugleich aber drohen in solchen Phasen noch unbekannte Veränderungen, steht das Neue bevor. Askese als bewusste oder unbewusste Einübung von Disziplin dient dabei auch der Vorbereitung zur Bewältigung einer ungewissen Zukunft.
So scheint die Annahme gerechtfertigt, dass genussfeindliche Kampagnen symptomatisch sind für epochale Spätphasen, in denen Lähmung statt Zuversicht, Bewahren statt Gewinnen, Transzendenz statt Lebensfreude vorherrschen. Die schier unaufhaltsame Kraft der Anti-Raucher-Bewegung würde demnach weniger einer Einsicht als einem (von Rauchern noch nicht geteilten) Lebensgefühl entspringen, mit dessen Veränderung aber auch wieder verschwinden. Ärgerlich ist nur, dass solche Zwischenphasen nicht nur lästig, sondern auch gefährlich sein können für Nichtangepasste, die sich der Wohlfahrtsdiktatur verweigern.

9. Der Wert des Rauchs

Weltweit, so schätzt die WHO, leben (noch) 1,1 Milliarden Raucher, die jährlich 6000 Milliarden Zigaretten rauchen. Diese Zahlen sind ein schönes Beispiel dafür, dass Handlungen des Menschen glücklicherweise oft andere Konsequenzen haben als geplant. Einst waren katholische Eiferer ausgezogen, um den Indianern den einzig wahren Glauben zu bringen, doch durchgesetzt hat sich nicht so sehr der Katholizismus sondern das indianische Kraut. Heute gibt es rund doppelt so viele Raucher wie praktizierende Katholiken auf der Welt. Bei einem Durchschnittspreis von 12 Pf je Zigarette (Deutschland 26,5 Pf) wandeln diese Raucher jährlich 720 Milliarden DM in Rauch um.
Allein deutsche Raucher verbrauchten 1997 141 Milliarden fabrikgefertigte Zigaretten, 1,7 Milliarden Zigarillos, 14840 t Feinschnitt zum Selberdrehen und 1087 t Pfeifentabak. ( Die Zahlen dieses Kapitels sind, wenn nicht anders vermerkt, dem Statistischen Jahrbuch 1998 entnommen.) Die Ausgaben für Tabak beliefen sich auf 37,4 Milliarden DM oder 1,8 % des gesamten privaten Verbrauchs, wobei stärker noch als der Umsatz (+ 0,7 % jährlich seit 1994) die Stückzahlen (1995 + 0,986 %; 1996 + 1,214 %) steigen. Hinzugerechnet werden müssen noch die Kosten für schätzungsweise 7-8 Milliarden illegal eingeführter Zigaretten. Die Aufwendungen für Tabak entsprechen über der Hälfte aller Ausgaben, die Bundesbürger 1997 für berufliche und private Auslandsreisen getätigt haben und sind mehr als doppelt so hoch wie alle Ausgaben für Bücher und Zeitschriften oder der Umsatz aller Tageszeitungen oder die Kosten aller Rundfunk- und Fernsehprogramme. (Gebühren 1996 9,25 Mrd. + TV-Werbung 6,9 Mrd. + Hörfunkwerbung 1,2 Mrd. = 17,35 Mrd.) Niedriger noch als sämtliche Fernseheinnahmen in Deutschland sind mit 15,7 Mrd. DM die Steuereinnahmen der katholischen und evangelischen Kirche. Dass wir Deutsche für die ablenkende Ersatzbefriedigung durch Rundfunk und Fernsehen mehr Geld ausgeben als für unseren Glauben, ist religionsgeschichtlich ein höchst interessantes Phänomen. Dass aber einigen von uns das Rauchen mehr Wert ist als die elektronischen und sakralen Medien zusammengenommen, könnte auch als Zeichen menschlicher Emanzipation interpretiert werden.

Je nach Größe und Einkommen gaben Haushalte im früheren Bundesgebiet 1997 1,4 – 3,2 % ihres Einkommens für Tabak aus, fast doppelt so viel wie z. B. für Rindfleisch (0,9 – 1,6 %). Obwohl die Ausgaben für Milch (4,7-5,3 %), Alkohol (6,4 – 6,6 %) und alkoholfreie Getränke (8,5 – 10,3 %) wesentlich höher liegen, ist Tabak ein überaus bedeutender Wirtschaftsfaktor. Im Vergleich zu dem 37,4 Milliarden-DM-Umsatz der Tabakbranche nehmen sich die Produktionszahlen beliebter anderer Konsumartikel bescheiden aus: Hergestellt wurden in Deutschland 1997 Bier für 14,38 Mrd. DM, Spirituosen für 2,33 Mrd., Kaffee für 5,3 Mrd., Schokolade für 7,9 Mrd., Duftstoffe und Körperpflegemittel für 7,63 Mrd., und sogar der Wert aller in Deutschland hergestellten Arzneiwaren machte nur rund ¾ des Wertes aller Tabakwaren aus. (Hierbei wäre noch zu berücksichtigen, dass Raucher nicht unwesentlich am Verbrauch z. B. von Aspirin beteiligt sind.)
Schon Gotthold Ephraim Lessing (1729-1781) pries am Tabak seine wirtschaftsfördernde Kraft:

Dich, Tabak, lobt der Medikus,
Weil uns dein fleißiger Genuss
An Zahn und Augen wohl kurieret
Und Schleim und Kolster (zäher Brustschleim, K. P.) von uns führet.

Dich lobet der Philosophus,
Wenn er scharf meditieren muss,
Weil er, solang er dich genießet,
Des Geistes Flatterkeit vermisset.

Dich lobet der Theologus
Durch einen homiletschen (= kanzelrednerischen, K. P.) Schluss,
Wenn er in deinem Rauch entzücket
Ein Bild der Eitelkeit erblicket.

Ich lob an dir als ein Jurist,
Was rechtens an dir löblich ist:
Dass, wenigstens wie mir es dünket,
Man mehr und öfter bei dir trinket.

Die eindrucksvolle Summe, die Konsumenten für ihren Tabakgenuss aufbringen, relativiert sich allerdings, wenn man sie von der Produzentenseite her betrachtet. Das tabakverarbeitende Gewerbe in Deutschland umfasste 1996 gerade einmal 26 Unternehmen mit 14 000 Beschäftigten, deren Personalkosten nur 5,1 % des Binnenumsatzes von 28,3 Mrd. DM ausmachten. 61,5 % des Umsatzes waren Steuern. Die Tabaksteuer (1997: 21,1 Mrd. DM) ist damit nach der Mineralölsteuer (66 Mrd. DM) die ertragsreichste Verbrauchsteuer. Ihr Anteil an den gesamten Steuereinnahmen der Bundesrepublik beträgt 2,47 %. Damit deckt sie z. B. fast die Hälfte aller Ausgaben nach dem Bundessozialhilfegesetz.
Rund 96 % des Tabaksteueraufkommens werden auf Grund der Höchstbesteuerung der ungesündesten, aber meistverkauften Tabakware von den Zigarettenrauchern erbracht. Während Cigarren und Zigarillos mit 5 v. H. des Kleinverkaufspreises, mindestens mit 3,1 Pf/Stück besteuert werden, Feinschnitt mit mind. 45 DM/kg (30,2 DM/kg + 18,12 % des Kleinverkaufspreises) Pfeifentabak mit mind. 21 DM/kg (5,5 DM/kg + 22 %), liegt auf Zigaretten eine ungleich höhere Steuerlast. Sie beträgt 8,3 Pf/Stück + 24,8 % des Kleinverkaufspreises, mindestens 12 Pf/Stück.
Begründet wird diese ungleiche Besteuerung ähnlicher Tabakwaren mit dem Schutz der lohnintensiven Handwerksproduktion vor dem industriellen Massenprodukt Zigarette . Da aber Zigarillos und die meisten Cigarren in Deutschland maschinell erzeugt werden, erinnert die unterschiedliche Besteuerung an die übliche steuerliche Rücksichtnahme auf die Interessen Privilegierter (Flugbenzin, Mehrwertsteuer).
Vernachlässigenswert ist die ökonomische Bedeutung des Tabakanbaus in Deutschland. 2400 Betriebe mit 4000 Betriebsangehörigen und 8 – 10 000 Saisonarbeitern erzeugen ca. 4 % des in Deutschland gerauchten Tabaks. Für ein Kilo Tabak erhält ein Landwirt ca. 7 DM, wobei der Erlös je nach Qualität bis zu 15 % höher oder niedriger sein kann. Für jede zu durchschnittlich 5 DM verkaufte Schachtel Zigaretten mit seinem Tabak bleiben ihm 3 Pfennige oder 0,6 % des Verbraucherpreises Mit einem Gesamtverkaufserlös von 60 Millionen DM liegt der Tabakanbau in Deutschland noch hinter der Kaninchenzucht, die immerhin 75 Millionen DM jährlich einbringt.

Wirklich bedeutsam aber ist der Anteil des Rauchens am Bruttosozialprodukt. Die Nachfrage nach Tabak gibt nicht nur über einer Million Menschen Arbeit (vor allem im Vertrieb; für 1992 schätzte man ihre Zahl auf 1,7 Millionen ). Der Tabakverkauf bildet auch das Fundament der Automatenproduktion, die Tabakleidenschaft beschäftigt ungezählte Menschen durch die Herstellung von Zubehör wie Feuerzeugen, Pfeifen etc. Und die dem Tabakkonsum zugerechneten Krankheitskosten beinhalten Leistungen, die höher sind als z. B. das gesamte Inlandsprodukt der deutschen Land- und Forstwirtschaft und Fischerei. Unter den nicht lebensnotwendigen Produkten scheint nach dem Auto der Tabak der wichtigste Motor unserer Wirtschaft. Selbstverständlich kann man auch ihn abstellen, nur wird das kaum ein Problem unserer Gesellschaft lösen, nicht einmal das Gesundheitsproblem.

10. Viel Glaube und ein wenig Wissen

„Jetzt bin ich 40, Herr Doktor“, sagt der Patient, „und 80 möchte ich gerne werden. Wie soll ich mich da verhalten?“ „Zuerst mal, mein Freund – Enthaltsamkeit gegenüber den Frauen.“ „Aus Frauen mache ich mir nichts.“ „ Zweitens – wenig Alkohol.“ „Ich trinke nicht.“ „Zum dritten – meiden Sie das Nikotin.“ „Ich rauche gar nicht, Herr Doktor.“ „Nun denn – seien Sie mäßig, was den Fleischgenuss betrifft. „Ich bin Rohköstler und lebe rein vegetarisch.“ Da springt der Arzt auf: „Und weshalb, zum Kuckuck, wollen Sie bei einem solchen Jammerleben 80 Jahre alt werden?“
Einer der letzten und vielfach gescholtenen medizinischen Verteidiger des Rauchens war der australische Arzt W. T. Whitby: „Ich halte das Rauchen für unschädlich, für ungefährlich, in sehr vielen Fällen sogar für gesund, auf jeden Fall aber für genussvoll.“ Der Einzelgänger Whitby sah in der Anti-Raucher-Kampagne nur ein Ablenkungsmanöver der Atomlobby von den Gefahren der Radioaktivität.
Doch mehr als drei Jahrhunderte lang galt der Tabak auch unter berühmten Medizinern als Heilmittel. Als 1560 Hernandez de Toledo am spanischen Hof berichtete, die Indios würden Tabak als eine Art Wunderkraut benutzen, erinnerte man sich einiger Tabakpflanzen, die schon 1541 in den Hofgärten Karl V. angepflanzt worden waren. Der König befahl, einen Hund mit einem vergifteten Messer zu verletzen und die Wunde mit frischem Tabaksaft zu behandeln. Die Therapie hatte Erfolg , denn tatsächlich tötet das Auflegen von Tabakblättern auf Wunden z. B. Fliegenlarven.

Am portugiesischen Hof experimentierte zur gleichen Zeit der französische Gesandte Jean Nicot – nach ihm wurde später der Wirkstoff Nikotin benannt – mit Tabakpflanzen und nutzte sie als Heilmittel gegen Flechten, Krätze und andere Hautkrankheiten. Mit den besten Empfehlungen schickte er einige Tabaksamen seiner Königin Katharina von Medici, die sie in den Pariser Hofgärten einpflanzen ließ. Auf Anraten Nicots und ihrer Ärzte ließ sie ihrem Sohn Karl IX. bei schweren Migräneanfällen Tabakstaub schnupfen, was eine schnelle Linderung bewirkte. Zur gleichen Zeit veröffentlichte Nicoló Monardes, Lehrer für Heilkunde an der Universität Sevilla, eine Schrift, in der er Tabak als wirksames Mittel gegen Kopfschmerzen, Magenkrämpfe, Gicht und Frauenleiden empfahl. Das Büchlein erregte Aufsehen überall in Europa und wurde sofort ins Lateinische, Französische, Englische und Italienische übersetzt. Noch im Erscheinungsjahr von Monardes Schrift (1565) wurde der Tabak auch in Deutschland (Augsburg) als Heilmittel eingeführt.
Als nun Londoner Ärzte während der Pestepidemie 1614 beobachteten, „dass Leute, welche eifrig rauchten, von der Krankheit viel weniger erfasst werden als andere“ , hielt man Tabak vollends für ein Wundermittel. William Barkley dozierte: „Mäßig angewandt gibt es in der ganzen Welt kein dem Tabak vergleichbares Medikament. Alles am Tabak ist heilsam…“
Während der nächsten großen Pestepidemie in England 1665 wurden daher die in Eton studierenden Knaben bei Androhung einer Prügelstrafe für Zuwiderhandelnde verpflichtet, jeden Morgen zur Vorbeugung zu rauchen. Samuel Pepys berichtet in seinen Tagebüchern, dass er am 7. Juni 1656 unfreiwillig mit Pestopfern zusammengetroffen war, worauf er sich eilig Tabak kaufte zum Schnupfen und Kauen und damit zumindest die Angst vor einer Ansteckung überwand. Sinnvoller wäre es gewesen, Pepys hätte den Tabak geraucht, wie der holländische Arzt Isbrand van Diemerbrook es empfahl:

„Wie das Volk sonst auf die Großen sieht, um sich nach ihnen zu richten, so blickte es zur Zeit der Pest auf die Ärzte, um von ihnen zu lernen, wie sie sich inmitten der Gefahr vor Ansteckung bewahren können. Im Verlaufe des Tages nach jeder Mahlzeit rauchte ich. Sobald mir die Ausdünstungen der Kranken unerträglich wurden, ließ ich augenblicklich alles liegen und rauchte Tabak. Der Tabak ist das wirksamste Mittel gegen die Pest, doch muss das Blatt von guter Beschaffenheit sein. Ich habe viel davon verbraucht. – Eines Tages, als ich zu einem Kranken kam, fiel mir der Pestdampf auf die Brust, und ich fühlte alle Anzeichen der Ansteckung: Schwindel, Ekel, Angst. Ich machte daher den Besuch kurz ab und eilte nach Hause, wo ich sechs bis sieben Pfeifen rauchte. Ich fühlte mich bald hergestellt, so dass ich noch an demselben Tage ausgehen konnte. Diese Anfälle sind mir während der ganzen Pestzeit noch mehrere Male begegnet; durch das Tabakrauchen aber verschwanden sie ebenso schnell wie das erstemal. Nur einmal, als ich ein pestkrankes Ehepaar besuchte, säumte ich mit dem bewährten Gegenmittel zu lange und geriet in nicht geringe Gefahr. Ich rauchte zwar einige Pfeifen, doch wurde mir so schlecht, dass ich mich wieder hinlegen musste und in Betäubung verfiel. Nach einigen Stunden weckte mich mein Diener, da eine Menge Kranke Beistand verlangten. Ich stand zwar auf, konnte jedoch mit Hilfe des Dieners nur bis zum Kamin gelangen, wo die Pfeife lag. Ich rauchte wieder und war wie auf einen Schlag frisch. Mir und vielen anderen Leuten hat bei Pestanfällen das Tabakrauchen jedes Mal große Dienste geleistet.“

Dass Rauchen den Ausbruch einer Infektion verhindern kann, ist eher unwahrscheinlich, doch hilf es zumindest, Läuse und Flöhe, also die Überträger der Pest und anderer Krankheiten, aus den Kleidern zu vertreiben. Daher setzte im 19. Jh. die Berliner Stadtverwaltung bei Choleraepidemien das Rauchverbot aus , und noch 1927 hielt etwa die Hälfte aller Ärzte das Rauchen für zumindest desinfizierend.
Unzählige Traktate priesen im 17. Jh. den Tabak als Allheilmittel. So veröffentlichte 1626 der Arzt Johann Neander sein Buch „Tabacologia, Beschreibung des Tabaks oder Nicotiana, seine Anwendbarkeit und Nützlichkeit gegen alle Gebrechen des menschlichen Körpers, vom medizinischen, chirurgischen und pharmazeutischen Gesichtspunkte, nebst Aufzählung der Kennzeichen, so zur Scheidung der unterschiedlichen Arten dienlich sind.“ Und ein Kräuterbuch von 1656 stellte fest: „Die Tabakpflanze reinigt Gaumen und Haupt, vertreibt die Schmerzen der Müdigkeit, stillt das Zahnweh und Dunstaufsteigen, behütet den Menschen vor Pest und Läusen, heilt den Brand, alle Geschwüre und Wunden.“ Detaillierter beschrieb W. Kemp 1661 die Wirkung des Tabaks: „Er bessert die Luft und macht, dass schlimme Säfte ausgespieen werden. Wenn einer Tabak nimmt, indem er entweder das Blatt kaut oder in der Pfeife raucht, so werden die Säfte aus allen Teilen des Körpers zum Magen gezogen, steigen von dort zum Munde und werden ausgespieen. Vor allem aber die schreckliche Plage des Zahnwehs konnte, wie ein anonymer Dichter im 17. Jh. versprach, durch Tabak gemildert werden:

Wenn euch der Schmerz die Zähne hat belegt,
So nehmt dies Kraut, das man sonst tritt mit Füßen!
Ihr werdet sehn, dass dies, was sich erregt,
Im Augenblick sich wird verlieren müssen;
Denn alle Pein, die hebt es ganz geschwind
Gleichwie der Wind.

Ein holländischer Arzt empfahl im 17. Jh. Tabak als Stimulans für Intellektuelle: „Einer, der studiert, muss notwendig viel Tabak rauchen, damit die Geister nicht verloren gehen, oder da sie anfangen zu langsam umzulaufen, weshalb der Verstand, sonderlich schwere Sachen nicht wohl erfasst, wieder mögen erweckt werden, worauf alles klar und deutlich dem Geiste überliefert wird, und er es wohl überlegen und beurteilen kann. Zwanzig Pfeifen an einem Tag zu rauchen, ist nicht zuviel.“ Der Arzt Dr. Johann Ignatius Worb versprach ermatteten Ehemännern: „Der Toback hebt alle Hinderung auf, die das Kinderzeugen vermeiden, bringt den Samen zu seiner Vollkommenheit, erfrischt das Geblüt, und erweckt durch Erwärmung die vorhin wegen Erkältung nachgebliebene Liebes-Lust.“
J. W. Beintema empfahl sogar allen Schwangeren zu rauchen: „Es kann ihnen aber dafür kein besseres Mittel verordnet werden, als der Toback. Dieser verdünnt das dicke und zähe Blut, wovon hernach die Geburts-Glieder erfrischen, und einen gewünschten Zustand bekommen.“ Doch die Behörden argwöhnten schon damals, dass das „toback schnupfen, essen und trinken“ eine Empfängnis eher verhindere oder sogar abtreibende Wirkung habe. Unumstritten dagegen war die verdauungsfördernde Wirkung des Tabaks, wie sie Dr. George Daniel Thebesius 1713 pries: „Praeservative hat der Taback gewiss auch seinen Nutzen; denn wenn Personen mit Hartleibigkeit oft incommodiret werden, so können sie des Morgens oder auch Mittages bei Thée oder Coffée eine Pfeiffe Taback rauchen, worauf ein gelinder Stuhlgang folgen wird.“

Tabak wurde auch dazu genutzt, Ertrunkene wieder ins Leben zurückzuholen. Im 18. Jh. blies man ihnen Tabakrauch in den After zwecks Reizung des vegetativen Nervensystems. Diese Therapie scheint auch bei manchen Krankheiten gebräuchlich gewesen zu sein: „Viele, die nicht damit zufrieden sind, ihn durch den Mund einzunehmen, füllen sich dagegen mit neuer Kunst und neuem Werkzeug in Form eines Klistiers mit jenem … Rauch die Därme und finden es bei vielen, sehr hartnäckigen Krankheiten und besonders bei kolikartigem Schmerz förderlich.“ Zusammenfassend konnte Cornelius Boutekoe, der Leibarzt des Großen Kurfürsten, feststellen: „Nichts ist dem Leben und der Gesundheit so nötig und dienlich als der Rauch des Königlichen Gewächses, des Tabaks, der das Leben und die Gesundheit so sehr erhält … Kurz, der nie genug gelobte Rauch ist gut und angenehm, von dem frühen Morgen bis zum Abend, wenn man aufsteht und nüchtern ist, wenn man gegessen hat und ehe man essen will, mit einem Wort: allezeit.“ Auch wenn mancher Arzt nur das Lied seines Herren gesungen haben mag, ist das dokumentierte Vertrauen in die Heilkräfte des Tabaks als wissenschaftlicher Standard anzusehen.
Kaum weniger naiv waren die frühen Warner(innen) vor den gesundheitlichen Gefahren des Rauchens. Als Alexandre Dumas (fils) 1862 die damals berühmte französische Schauspielerin Augustine Broban in ihrer Loge besuchte und sie dabei mit dem Rauch seiner Cigarre belästigte, warf Augustine ihm vor, dass er zuviel rauche. „Mein Vater“, erwiderte Dumas, „ist sechzig Jahre alt und qualmt fortwährend.“ „Hätte er nie geraucht, dann wäre er schon siebzig Jahre alt“, belehrte ihn die eher schöne als kluge Frau.

Sieht man von solch frühen und recht pauschalen Warnungen vor den gesundheitlichen Schäden des Tabakgenusses ab, kamen die ersten konkreten Verdachtsmomente im 19. Jh. auf mit der Vermutung, Rauchen verursache Mundkrebs. Deutsche Ärzte (Franz H. Müller, Eberhard Schairer, Erich Schoniger) gelang es 1939 bzw. 1943 als ersten, einen Zusammenhang zwischen Rauchen und Lungenkrebs nachzuweisen. Doch der Brockhaus von 1955 ging noch relativ locker mit den Folgen des Tabakgenusses um. Er beschrieb Nikotin als ein Gift, das in einer Dosis von 60 mg – da Zigaretten damals sehr viel stärker waren, entsprach dies dem Nikotingehalt von zwanzig bis dreißig Zigaretten – tödlich wirkt. Bei langsamem Rauchen würden 20 %, bei raschem Rauchen bis zu 80 % des Nikotins in den Mund eines Rauchers gelangen. Ein Gewohnheitsraucher vertrage bis zu 20 mg Nikotin pro Stunde, das entsprach dem Nikotingehalt von ca. 12 schnell gerauchter Zigaretten. Als schwerwiegendste Folge des Nikotingenusses galt die chronische Nikotinvergiftung mit den Folgen: Appetitlosigkeit, unregelmäßiger Puls, Neuralgien, Abnahme des Gedächtnisses und der Sehschärfe, Schädigung der Blutgefäße und des Herzens, Magenschleimhautentzündungen, anschließend Magen- und Darmgeschwüre. Zur Vermeidung dieser Folgen empfahl der Brockhaus das Einstellen des Rauchens oder den Genuss nikotinarmen Tabaks.

In den USA dagegen war der Tabak längst ins Visier kritischer Mediziner und Pädagogen geraten. Der New Yorker Schulkommissar Charles Hubbell behauptete: “Trägen Geist und schlaffe Körper, unstillbaren Durst und zitternde Hände, Delirium tremens, Wahnsinn – und Tod, all das haben wir als Konsequenz deutlich beobachten können bei ursprünglich grundanständigen jungen Leuten, die ihr Studium mit den besten Vorsätzen und Erfolgsaussichten begonnen hatten und dann dem unseligen Tabakgenuss frönten.“ Anfang der 60er Jahre beauftragte US-Präsident Kennedy, der selbst Cigarren rauchte und sich unmittelbar vor der Invasion amerikanischer Söldner auf Cuba noch seinen Humidor mit Havannas füllen ließ , seinen Surgeon General Luther L. Terry, die Gefährdung der Gesundheit durch Zigarettenrauchen zu untersuchen. Auch in Großbritannien meldeten sich besorgte Tabakgegner zu Wort. Das Royal College of Physicians machte 1963 das Zigarettenrauchen für die Zunahme an Krebserkrankungen verantwortlich , eine britische Studie von 1964 stellte bereits fest: „50 Prozent aller Raucher sterben an ihrer Sucht und zwar ein Viertel im mittleren Lebensalter zwischen 35 und 65, ein weiteres Viertel im höheren Alter.“
Seither krankt die Diskussion über die Gefährlichkeit des Rauchens an der Vermischung medizinischer Befunde mit statistischen Manipulationen.
Feststeht: Rauchen belastet die Mundschleimhaut, den Kehlkopf, die Bronchien, die Lunge und das Herz. Beobachtet wurde: Rauchen beeinflusst die Pulsfrequenz und den Blutdruck, kann zu Schädelbrummen, Schweißausbrüchen, Pupillenveränderung, Kopfdruck, Schwindel, Schlaflosigkeit, Unlust, Reizbarkeit, Neuralgien, Muskelzittern, Schwäche der Schließmuskel, Krampfsymptomen, Verdauungsstörungen, Darmkatarrhe, Katarrhe des Kehlkopfs und der Luftröhre, Menstruationsstörungen, Schädigung der Sexualorgane, Herzklopfen, Herzdelirium führen. Auch sollen Raucher im Alter 20-30 % weniger Knochenmasse und daher schwächere, brüchigere Knochen haben als Nichtraucher. In den letzten Jahren ist die Liste noch sehr viel umfangreicher geworden, sie verzeichnet nun auch Fälle von Chromosomenveränderung bei Spermien von Rauchern und die Verminderung ihrer Erektionsfähigkeit, hervorgerufen durch einen reduzierten Blutfluss in den Penis, was die thailändische Gesundheitsbehörde im November 1998 veranlasste, auf jeder Zigarettenpackung zu drohen: „Rauchen verursacht Impotenz.“

Wie das Kochen ist auch das Rauchen ein sehr komplexer Vorgang, bei dem Rauchgase und Rauchteilchen entstehen. Das Rauchgas enthält u. a. Stickstoffoxyd, Ammoniak, gasförmige Nitrosamine, Blausäure, Methanol, Aldehyde und Kohlenmonoxyd, das allein 2-3 % des inhalierten Rauches ausmacht. Die Rauchteilchen bestehen aus Wasserdampf, Nikotin und Kondensat (Teer), letzteres bestimmt das Aroma einer Zigarette. Eine Reduzierung des Kondensats muss daher durch die Verarbeitung von Geschmacksstoffen ausgeglichen werden, deren Wirkung noch weitgehend unerforscht ist. Das Kondensat besteht hauptsächlich aus polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen (u. a. Benzpyren), aromatischen Aminen, Phenolen, teilchenförmigen Nitrosaminen, Spuren von Arsen, Cadmium, Brom, Nickel, Polonium 210, DDT. Diese Stoffe, die selbstverständlich nicht nur im Zigarettenrauch vorkommen, sind tatsächlich so ungesund, wie ihre Namen vermuten lassen.
Das Nikotin einer Zigarette, ein farbloses, öliges Alkaloid (C10H14N2) wird zu einem Drittel vom Raucher aufgenommen (10 % davon über die Mundschleimhaut, 90 % durch die Lunge), zu einem Drittel im Nebenstromrauch an die Umgebung abgegeben und zu einem Drittel durch Verbrennung umgewandelt. Der Nikotinkonsum verengt die Blutgefäße und führt daher zu erhöhtem Blutdruck und erhöhter Herztätigkeit. Durch die verstärkte Ausschüttung von Adrenalin und Noradrenalin wird der Fettsäurespiegel des Blutes erhöht, was wiederum eine Thrombosebildung begünstigt.

Eine der schwerwiegendsten Folgen des Tabakgenusses, die Verengung der Blutgefäße mit der Folge von Durchblutungsstörungen, kann jeder mit Hilfe eines besonderen Mikroskops selbst beobachten: „Wenn man seinen Finger unter ein Spezialmikroskop legt, kann man die feinen Haargefäße mit dem durchscheinenden Nagelfalz sichtbar machen; man erkennt sogar in diesen feinsten Gefäßen den Strom der Blutkörperchen, die sich durch diese Gefäße mit dem Strom des Blutes förmlich hindurchzwängen. Gibt man jetzt dem Selbstbetrachter eine Zigarette zu rauchen, so kann er häufig schon nach zwei bis drei Zügen erkennen, wie sich die Blutgefäße verengen und die Blutkörperchen nur noch ganz langsam hindurchtreten können. Raucht er noch einige Züge weiter, verkrampfen sich die feinen Gefäße so stark, dass der Strom des Blutes vollkommen zum Stillstand kommt.“
Die Durchblutungsstörungen bei Rauchern ähneln den Symptomen bei Diabetikern und Patienten mit Nierenversagen, da sich bei ihnen ähnlich große Mengen glykosilierter Proteine im Blut nachweisen lassen. Man nimmt daher an, dass im Zigarettenrauch reaktionsfreudige Zuckermoleküle enthalten sind, die mit verschiedenen Proteinen der Lunge und anderer Organe reagieren und sich leicht miteinander vernetzen. Die dadurch hervorgerufene Versteifung der Blutgefäße kann zur Entstehung der Arteriosklerose führen. Unstrittig ist auch, dass Raucher mehr Kohlenmonoxyd im Blut haben als Nichtraucher. Dies beeinträchtigt u. a. die Fähigkeit der roten Blutkörperchen, Oxygene zu transportieren. Die mangelnde Sauerstoffzufuhr gefährdet vor allem Menschen mit coronaren Arterienerkrankungen. Bei Rauchern können zwischen 5 % und 20 % des Hämoglobins vom Kohlenmonoxyd besetzt sein und damit für den Sauerstofftransport durch den Körper ausfallen. Wahrscheinlich ist dieses Kohlenmonoxyd gefährlicher als Nikotin oder Teer, ohne dass der Raucher auf der Packung eine Mengenangabe findet. Sehr viel höher als bei Fabrikzigaretten ist der CO-Anteil bei selbstgedrehten, aber auch manche Filterzigarette gibt mehr CO ab als eine filterlose, manche als leicht gepriesene Filterzigarette mehr als eine starke.

Mindestens 30 000 Untersuchungen ergaben zahlreiche Detailerkenntnisse über die Wirkung des Rauchens auf den menschlichen Organismus, deren Interpretation aber dadurch erschwert wird, dass offensichtlich unterschiedliche Erbanlagen unterschiedlichen Folgen zeigen. So leiden einige Raucher unter einer Lungenblähung, wie sie durch eine schleichende Zerstörung des elastischen Lungengewebes hervorgerufen wird. Vieles spricht dafür, dass ein solches Emphysem durch Rauchen entsteht, doch warum ist dies nur bei einigen, aber längst nicht bei allen Rauchern der Fall?
Das Problem liegt in der uns immer noch unvorstellbaren Komplexität der Materie, also auch des Rauches und seiner Wirkung auf den Organismus. Auch wenn uns die meisten, gewiss jedoch nicht alle im Zigarettenrauch enthaltenen Stoffe bekannt sind, besitzen wir noch längst nicht die Kenntnisse, alle Wechselwirkungen dieser Stoffe auch nur einschätzen, geschweige denn analysieren zu können. Wir konzentrieren daher unser Interesse auf Einzelphänomene, die wir zu verstehen glauben, setzen das Teil für das Ganze und wundern uns (meist später als früher), dass unsere Interpretationen falsch und die Folgen fatal waren. Ein simples Beispiel: Das Bestreben der EU, den Nikotin- und Kondensatgehalt von Zigaretten herabzusetzen, scheint vernünftig und gesundheitspolitisch sinnvoll. Noch in den 60er Jahren enthielten Zigaretten sehr viel mehr Nikotin und Kondensat. Zunächst auf Grund veränderten Raucherverhaltens, seit 1992 durch EU-Bestimmungen, die zuletzt 1998 verschärft wurden, hat sich der Anteil der als gefährlich erkannten Zigarettenbestandteile Nikotin und Kondensat auf weniger als die Hälfte verringert. Gleichzeitig aber stieg der durchschnittliche Pro-Kopf-Verbrauch an Zigaretten auf mehr als das Doppelte (BRD 1961 rund 1000, Deutschland 1997 2073). Offenbar wird die Häufigkeit des Griffes nach einer Zigarette von der individuell als wohltuend empfundenen Nikotinzufuhr = Tritation und nicht von der Rauchfrequenz bestimmt. Wenn nun doppelt so viele Zigaretten geraucht werden wie früher, beschert dies dem Staat doppelt so hohe Steuereinnahmen, was vielleicht auch noch als erfreulich angesehen werden kann. Für Raucher freilich bedeutet diese gesundheitspolitische Maßnahme, die angeblich ihrem Schutz dient, dass sie nun die gleiche Menge Nikotin, aber die doppelte Menge des wahrscheinlich sehr viel ungesünderen Papiers rauchen.

Diese Verdoppelung der Schadstoffzufuhr gilt für viele Bestandteile (z. B. Gase), deren Menge durch eine Nikotin- und Kondensatreduzierung nicht verringert, wahrscheinlich durch chemische Manipulation zur Einhaltung von Grenzwerten noch erhöht wird. Aber „gesündere“ Zigaretten mit hohem Nikotinanteil liegen weder im Interesse der Tabakindustrie und des Staates (da sie den Griff zur nächsten Zigarette verzögern und damit die Einnahmen verringern würden) noch im Vorstellungsvermögen der Tabakgegner (die über Reduzierung und Verbot nicht hinausdenken können oder wollen).
Auch die Folgen des Rauchens können zur Zeit wohl nur chaostheoretisch erklärt und vielleicht sogar verstanden werden. Kleinste Ursachen zeigen große Wirkungen, freilich gilt dies im Guten wie im Schlechten. Der Flügelschlag eines Schmetterlings in Peking vermag vielleicht einen Wirbelsturm in Mittelamerika auszulösen, aber genauso gut kann ein Schmetterling in Panama dies verhindern. Die Beschränktheit menschlichen Wissens und unserer intellektuellen Kapazität erlauben uns weiterhin nur eine Ahnung, eine Interpretation der uns umgebenden Wirklichkeit. Immer wieder meinen wir, aus der Beobachtung (z. B. bei Menschen, die viel Spinat essen und im Alter weniger Gehirnzellen abbauen) Rückschlüsse ziehen zu können, die Zusammenhänge erklären. Manchmal ist ( z. B. bei der Eisenhaltigkeit von Spinat) nur ein Rechenfehler die Grundlage unseres Schlusses, in den meisten Fällen kranken unsere Erklärungen an der mangelnden Berücksichtigung von Abhängigkeiten. Dankbar übernehmen wir Erkenntnisse, die in die Schemata unseres vorurteilbehafteten Denkens, unserer doch sehr eingeschränkten Sinneserfahrung passen, unserem Denkvermögen entsprechen. Dies ist lästig im Ergebnis, doch unumgänglich, denn wir können nur lernen im Herantasten an die Komplexität. Wir sollten uns freilich hüten, die Zwischenstände der Erkenntnis absolut zu setzen. Damit machen wir uns nur lächerlich für spätere Generationen, die über uns schmunzeln werden wie wir uns über jene amüsieren, die den Planeten Erde ins Zentrum des Kosmos setzten. Zu durchsichtig, zu vordergründig war ihr Motiv der Irrtums.

Zu den unsichersten Erklärungsinstrumenten zählen Statistiken, denn sie verleiten zur vorurteilbehafteten Interpretation. Da kommt es gar nicht mehr darauf an, dass sich die Zahlen selbst widersprechen, z. B. beim Lungenkrebsrisiko für Raucher. Die Encyclopaedia Britannica nennt das Risiko 20 – 30 mal größer als für Nichtraucher, Ärzte nennen heute den Faktor 10 , Microsofts Encarta 98, ansonsten äußerst korrekt raucherkritisch, setzt das Risiko für Raucher siebenmal höher an als für Nichtraucher. Für gewöhnlich aber werden in der guten Absicht, Raucher zur Aufgabe ihres „Lasters“ zu bewegen, die Feststellungen und Prognosen immer drastischer. So verursache das Rauchen in der Bundesrepublik jährlich mehr als 10 000 oder rund 15 000 Amputationen. Allein an Lungenkrebs, so prophezeiten Mediziner 1970, würden in den 90er Jahren in Deutschland jährlich 100 000 Menschen sterben, weil sie rauchen . Tatsächlich betrug die Zahl der Lungenkrebs-Todesfälle in den späten 90er Jahren 35 000 jährlich, von denen 85 % auf Zigarettenrauchen zurückgeführt werden . Trotzdem war die Warnung berechtigt: Von zehn Menschen, die an Lungenkrebs sterben, haben 9 geraucht, nur eine/r war Nichtraucher/in. Allerdings gilt auch: Nur eine/r von elf starken Zigarettenraucher/innen erkrankte an Lungenkrebs. Der WDR allerdings verkündete am 4.5.1990, 140 000 Bundesbürger würden in diesem Jahr am Zigarettenkonsum sterben und ließ diese Zahl einen Dr. M. Axhausen kommentieren: „Angesichts dieser Tatsache frage ich mich, warum sind Zigaretten weiterhin frei verkäuflich? Warum wird für sie geworben? Und wann werden die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen?“

Trotz einer Schwankungsbreite von fast 300 % müssen auch die Prognosen, jede Zigarette verkürze die Lebenserwartung eines Menschen um 5 ½ bis 15 Minuten, ernst genommen werden, auch wenn durch den Straßenverkehr die Lebenserwartung eines Menschen weit mehr eingeschränkt wird als durch Lungenkrebs. Nur 4,1 % der verlorenen Lebensjahre im Alter von 1-64 Jahren sollen auf Lungenkrebs zurückzuführen sein, aber 14,5 % auf Verkehrsunfälle.
Als wären all diese Zahlen nicht schon erschütternd genug, soll Rauchen nun auch noch die Nichtraucher bedrohen. Bereits 1988 verkündete das Bundesgesundheitsamt, Passivrauchen stelle ein mindestens hundertmal größeres Krebsrisiko dar als Asbeststaub in einer Konzentration von 1000 Fasern pro Kubikmeter Luft. 1990 rechnete der Ärztliche Arbeitskreis Rauchen und Gesundheit mit 500 – 1000 Krebstoten jährlich durch Passivrauchen in Deutschland. 1997 soll die tatsächliche Zahl der Todesfälle durch Passivrauchen 400 betragen haben. Im selben Jahr starben in Deutschland 36 700 Menschen an Verletzungen oder Vergiftungen, 12 225 Menschen durch Selbstmord, 40 600 an Erkrankungen ihrer Verdauungsorgane und 23 940 an Diabetes (ohne dass der Zucker als Krankheitsauslöser auch nur annähernd so kritisch betrachtet wird wie der Tabak). Auch wenn diese Zahlen das Problem Passivrauchen relativieren können, ist die Zahl von 400 Opfern, wenn sie denn stimmt, viel zu hoch. Tatsächlich enthält der im Nebenstromrauch an die Umwelt abgegebene Rauch teilweise mehr Schadstoffe als der Hauptstromrauch, der allerdings direkt inhaliert wird: Der Benzpyrengehalt ist 3,4 mal so hoch, der Nitrosamingehalt gar 50fach höher, darüber hinaus enthält der Nebenstromrauch rund 40 weitere Stoffe wie Formaldehyd, die Krebs hervorrufen können, wogegen Nikotin und Kohlenmonoxyd fast keine Rolle spielen.

Unter ungünstigen Umständen können die Giftstoffe des Nebenstromrauches trotz ihrer Verdünnung in der Raumluft Nichtraucher gefährden. Dies macht Rücksichtnahme der Raucher erforderlich, und wo sie nicht selbstverständlich ist, soll sie erzwungen werden. Technische Hilfsmittel wie Aschenbecher mit Abzugvorrichtung, Luftreinigungssysteme etc. könnten die Restbelastung für Nichtraucher nahezu ausschließen.
Wer allerdings rigoros ein Rauchverbot fordert, sollte sich der Konsequenzen bewusst sein. Die Zahl der Allergiker nimmt in allen Industriestaaten zu, und inzwischen gibt es Allergien fast gegen alles. Soll, weil viele Menschen allergisch auf Katzenhaare reagieren und auch diese Reaktion tödliche Folgen haben kann, das Halten von Katzen verboten werden? Das Rasenmähen? Das Pflanzen der meisten Baum- und Straucharten? Nein, hier plötzlich gelten andere Maßstäbe, wird einem Menschen, auf dessen Grundstück vor seinem Fenster eine Birke steht, die Beseitigung dieses Baumes nicht gestattet, obwohl er nachweislich eine schwere Allergie gegen Birkensamen entwickelt hat.
Jede Rücksichtnahme, so wünschenswert sie auch ist, wird zerstörerisch, wenn sie absolut gilt. Wer jede Gefährdung der Mitmenschen vermeiden will, strebt – gewiss unbewusst – ein Leben unter keimfreien Laborbedingungen an, das freilich unweigerlich zur psychischen Selbstzerstörung führen muss. Leben entwickelt sich (und scheitert gelegentlich) in der Anpassung, in der – auch biologischen – Herausforderung. Leben ist kein ideales Konstrukt, sondern Risiko. Bewahrung führt zum Stillstand, zum Ende, das Gläubige als Erlösung im Jenseits erwarten dürfen, das sie den Ungläubigen aber nicht schon hier und heute aufzwingen sollen, weil jedes Streben nach Bewahrung dank Naturkatastrophen, Mutationen, Klimaschwankungen sinnlos und vergeblich ist.

So gut es eine/r auch meinen mag mit der Natur oder auch nur mit den Nichtrauchern, übt er oder sie Gesinnungsterrorismus aus im Aufzwingen verkürzender Erklärungsmodelle. So berechtigt die Warnungen vor dem Passivrauchen auch sein mögen, so unsicher ist ihre statistisch begründete Kausalität, weil der Tabakgenuss keine einzige Krankheit verursacht, die es nicht auch bei Menschen, die nie mit Tabakrauch in Berührung gekommen sind, gibt. Will man statistische Zusammenhänge herstellen, muss man mit Korrelationen arbeiten, und das ist ein höchst unsicheres Geschäft. So stellten Ärzte in einer vergleichenden Studie an fast 14 000 Frauen aus Hongkong, Japan, Schweden und den USA fest, dass Frauen von Rauchern ungesünder leben als Frauen von Nichtrauchern. Sie essen mehr Tiefkühlkost und weniger Obst, achten weniger auf ihr Gewicht und gehen seltener zu Vorsorgeuntersuchungen als Frauen von Nichtrauchern. Die Ursachen für dieses abweichende Verhalten sind unbekannt, könnten freilich (aber das ist keine Vermutung der Forscher) in der mangelnden Mainstreamgefolgschaft und der häufigeren Unterschichtzugehörigkeit von Rauchern und ihren Frauen liegen. Interessant aber ist der Verdacht der Wissenschaftler, der ungesunde Lebensstil der nichtrauchenden Frauen von Rauchern könnte die Krebsstatistiken zum Passivrauchen verzerren. Und wenn z. B. Kinder in Raucherhaushalten doppelt so oft Husten, Schwindelgefühle und Schlafstörungen haben und daher auch mehr Medikamente verbrauchen als Kinder in Nichtraucherhaushalten , werden die Zahlen wohl stimmen. Nur ist es keineswegs selbstverständlich, dass diese bedauerliche Erscheinung eine Folge elterlichen Rauchverhaltens ist. Eine solche Interpretation erinnert an die von niemandem in Frage gestellten Ergebnisse einer dänischen Untersuchung, wonach der Genuss von Rotwein die Gesundheit fördere und die Lebenserwartung verlängere. Auch hierbei stimmen die Zahlen, nur ist es unsinnig, die bessere Gesundheit von Rotweintrinkern in Dänemark durch Wirkstoffe des Rotweins zu erklären. Wer sich in Dänemark einen regelmäßigen Rotweingenuss leisten kann, gehört in der Regel zu den Besserverdienenden, die sich wiederum – und das ist nicht nur eine statistische Korrelation, sondern ein ökonomischer Zusammenhang – auch gesündere Nahrung, mehr Gesundheitsvorsorge, bessere ärztliche Behandlung usw. leisten können. Da nun Raucher mehrheitlich der Unterschicht angehören ist anzunehmen, dass die festgestellte Mehrerkrankung von Kindern in Raucherhaushalten auch etwas mit der wirtschaftlichen Lage, mit der Klassenzugehörigkeit zu tun hat. Offensichtlich aber kommt niemand auf die Idee, den Krankheitsstand von Kindern aus rauchenden Unterschichtfamilien mit dem von Kindern aus rauchenden Oberschichtfamilien zu vergleichen. Die Blindheit ist freilich nicht verwunderlich, liegt doch die Krankheitsursache Rauchen in der Verantwortung jedes Einzelnen, die Krankheitsursache Schichtzugehörigkeit jedoch in der Verantwortung der Gesellschaft. Wer Krankheiten auf die Ursache Rauchen reduziert, beteiligt sich an der übelsten Form der Privatisierung, nämlich der des Elends.

Häufig werden im Eifer der Aufklärung nicht einmal statistische Abweichungen, Besonderheiten hinterfragt. Henner Hess z. B. nennt Mortalitätsraten für Lungenkrebs: Für amerikanische Männer betrage sie bei 20 Zigaretten täglich 14,69 (Nichtraucher = 1), für britische Ärzte 12,7, für schwedische Männer 13,9 und für japanische Männer 4,11. Obwohl der Unterschied zwischen amerikanischen und japanischen Männern sehr auffällig ist wird er nicht weiter hinterfragt. Ist die Sterblichkeit japanischer Nichtraucher (und damit die Basiszahl) so viel höher als die amerikanischer Nichtraucher, spielen Ernährungsgewohnheiten, Tabakarten, Freizeitbeschäftigung, Umweltbedingungen oder gar genetische Voraussetzungen eine Rolle? Warum sterben in Luxemburg jährlich 310 von 100 000 Männern an Krebs, in El Salvador aber nur 37,5 , obwohl Mittelamerikaner mehr und stärkere Zigaretten rauchen als Luxemburger? Wieso nahm Lungenkrebs, der im 19. Jh. noch selten war, obwohl damals viele Menschen sehr viel stärkeren Tabak rauchten, ab 1930 plötzlich drastisch zu? Hat dies vielleicht mehr mit dem Zigarettenboom des 1. Weltkrieges und der damit verbundenen Papierqualmerei zu tun als mit dem Rauchen von Tabak?
Wo Fragen angebracht wären, gibt es nur die Antwort, dass Raucher eher an Lungenkrebs sterben als Nichtraucher. Wer nicht mehr beweisen will als dies, dem mögen solche Zahlenreihen genügen, obwohl sie nur eine Beobachtung, keine Erklärung liefern.
So lässt sich z. B. statistisch auch belegen, dass Menschen, die im Sternzeichen des Wassermannes und des Steinbocks geboren wurden, viel häufiger rauchen als Zwillinge und Krebse. Auch dürfen Gefahren nicht isoliert betrachtet werden. Rauchen mag, wie vieles andere auch, zum Tode führen, aber in der Regel nicht zur Fettleibigkeit, die wiederum – vor allem in den USA – viel häufiger am Tod von Menschen beteiligt ist als der Tabakkonsum.

Korrelationen wie Interpretationen sind meist verkürzt und unfreiwillig manipulativ. Ein typisches Beispiel solch fürsorglicher Manipulation führt Jürgen von Troschke an: Ein Experiment mit Miniaturschweinen veranlasste die Wissenschaftler zu der Annahme: „Für das Angiopathierisiko durch inhalierendes Rauchen scheint das Kohlenmonoxid ein entscheidender Faktor zu sein.“ Daraus machte die Süddeutsche Zeitung: „Raucher drehen den Gashahn auf“, und die Frankfurter Neue Presse titelte: „Mit jeder Zigarette wird der Gashahn geöffnet“.
Die Wissenschaftsbeilage der FAZ berichtete über das Enzym N-Azethyltransferase 2, das erblich bedingt bei etwa jeder zweiten weißen Amerikanerin, bei jeder fünften Chinesin und jeder zehnten Japanerin fehlt. Da dieses Enzym die im Zigarettenrauch enthaltenen aromatischen Amine abbaut, erkranken Raucherinnen, denen es fehlt, viermal so häufig an Brustkrebs als Raucherinnen mit normalem Enzym. Die verkürzende Überschrift lautete: „Mehr Brustkrebs bei rauchenden Frauen“.
Häufig reicht auch die statistische Basis nicht aus. Eine Untersuchung von 1805 Gehirnen nach Anzeichen „stiller Schlaganfälle“ (Läsionen, die bei einer nur vorübergehend verstopften Blutader im Hirn entstehen) ergab 282 Befunde, von denen 2/3 Rauchern und 1/3 Nichtrauchern zuzuordnen waren. Dieses eindeutige Ergebnis aber wird mehrdeutig, wenn man berücksichtigt, dass nur 140 der 1805 untersuchten Toten nicht regelmäßig Zigarettenrauch ausgesetzt waren.
Manche Ergebnisse sind widersprüchlich. So berichtete die ARD am 4. 2. 98 in der Sendung „Raucher raus“, 60 % aller Fälle von Asthma bei Säuglingen zwischen 2 Monaten und 2 Jahren seien auf Passivrauchen zurückzuführen. Obwohl die Mitteilung ohne Quellenangabe gemacht wurde, dürfte sie aus einer am folgenden Tag veröffentlichten Studie der Europäischen Union abgeleitet sein, die freilich auch feststellt: Kinder mit Asthmatiker-Eltern erkranken siebenmal häufiger an dem Leiden als Kinder ohne familiäre Vorbelastung. Das genetische Risiko wiegt also sehr viel schwerer als das – wohl relativ seltene – Risiko eines Babys, Zigarettenrauch ausgesetzt zu sein.

Die Beobachtung, dass manche Raucher ein früher Tod dahinrafft und andere uralt werden, legt die Vermutung nahe, dass zwischen Rauchen und Gesundheit trotz der bisher über 30 000 Nachweisversuche keine zwingende Abhängigkeit besteht. Neben vielen anderen Faktoren dürften genetische Ursachen von Bedeutung sein und, wie H. Eyseneck schon 1981 behauptete, die Rauchverarbeitung des Körpers beeinflussen. So schien es Eyseneck denkbar, dass Menschen genetisch, d. h. durch ihr Erbgut dahingehend disponiert seien, sowohl häufiger zu rauchen als auch häufiger an Lungenkrebs und Herzkrankheiten zu erkranken. Der heftig kritisierte Psychologe vermutete daher auch, dass das Zigarettenrauchen mehr zur Diagnose Lungenkrebs beitrage als zu der Krankheit selbst.
Während Wissenschaftler immer noch befangen im Verursacherprinzip das Rauchen nun sogar für Mutationen in der Erbsubstanz verantwortlich machen wollen , wird die Genforschung wohl die Bedingtheit von Erkrankungen nachweisen können. Genanalysen werden den Menschen auf mögliche Gefährdungen seiner Gesundheit durch Fasten oder Schlemmen, Rauchen oder Tauchen, Smog oder Sonne hinweisen, aber auch Gefährdungen durch Verhaltensweisen wie Rauchen weitgehend ausschließen können. Rauchen wird dadurch nicht gesünder, doch der Umgang mit dem Thema Rauchen rationaler werden. Ärzte, die in wissenschaftlichen Zeitschriften suggerieren, dass für ein asoziales Verhalten Jugendlicher, für häufiges Lügen, für Brandstiftung, Vandalismus, Misshandlung von Tieren und Kindern, für Stehlen und die Bereitschaft zur sexuellen Gewalt Mütter verantwortlich seien, die während ihrer Schwangerschaft mehr als eine halbe Packung Zigaretten täglich geraucht haben , solche Ärzte werden es sich eines Tages gefallen lassen müssen, mit den Masturbationshysterikern des 18. und 19. Jahrhunderts verglichen zu werden. Wissenschaftler aber, die keine Zeitgeistlakaien sind, werden vermehrt auch wieder die positiven Wirkungen des Nikotins untersuchen, seine schmerzlindernde Eigenschaft, die Verringerung des Appetits, die Anregung des Stoffwechsels, den günstigen Einfluss auf die Alzheimersche und Parkinsonsche Krankheit , auf das Tourette-Syndrom (ungewollte Bewegungen, anfallsartige Ausrufe; R. Erdmann von der Medizinischen Hochschule Hannover wies darauf hin, dass die meisten psychiatrischen Patienten stark rauchen. Offenbar regen sie mit dieser Selbstmedikation ihre Großhirnrinde an und verleihen ihr so mehr Energie, den unwillkommenen, lähmenden Anwandlungen aus den Basalganglien zu trotzen. ), auf das hyperkinetische Syndrom bei Kindern sowie auf den Atemstillstand beim Schlafen.
Schließlich wird man auch nicht umhin kommen, die vielleicht nur subjektiv als wohltuend empfindbaren Wirkungen des Nikotins zu analysieren. Wer die Schadstoffe im Zigarettenrauch kennt und trotzdem raucht, muss dafür gute Gründe haben. Denn selbstverständlich wissen Raucher, wenn sie nicht gerade einen Prozess gegen die Tabakindustrie führen, dass Rauchen Krebs erzeugen kann. Jede Zigarettenpackung in Deutschland erinnert sie seit 1982: „Rauchen gefährdet die Gesundheit“. Die jüngere zweite Behauptung, „Rauchen verursacht Krebs“ ist dagegen ungefähr so berechtigt wie ein Warnhinweis, „Autofahren verursacht Verkehrsunfälle“ oder die auf jeden Sessel geklebte Drohung, „Sitzen verursacht Hämorriden“. Sehr viel dezenter ist der Warnhinweis auf japanischen Zigarettenschachteln: „Rauchen wir nicht zu viel, da sonst eine Gefahr für die Gesundheit entstünde.“
Trotzdem rauchen Menschen und tun es nicht nur aus Gewohnheit.

11. Die intelligente Droge

Raucher, die sich lustig machen über die Abscheu von Nichtrauchern gegenüber Tabakqualm, sollten sich ihrer ersten Zigarette erinnern. Wahrscheinlich erging es ihnen wie der Raupe des Tabakspinners, die zu den wenigen Insekten zählt, die Tabakpflanzen fressen können. Wenn sie als junges Tier zum ersten Mal von den Tabakblättern kostet, rollt sie sich vor Entsetzen zusammen. Doch schon der erste Tabakgenuss aktiviert ihre Nikotinabwehrenzyme und macht die Tabakpflanze zur natürlichen Ernährung. Auch beim Menschen ist der erste Zug aus einer Zigarette in der Regel kein Genuss, sondern widerwärtig und lässt den Darm rebellieren, die Knie zittern, Übelkeit aufsteigen. Ähnlich wie beim Alkohol sollte man annehmen, dass jeder, der die Wirkung einmal erlebt hat, künftig die Finger von diesen Drogen lässt, denn zumindest körperlich tun sie anfangs nicht gut. Also muss es andere Gründe geben für den zweiten Griff nach einer Zigarette, einem Glas Bier oder Schnaps. Neugierde allein reicht dafür als Motiv nicht aus. Neugierig sind Kinder (und manchmal noch Erwachsene) auf unzählige Dinge, die sie niemals oder nie wieder ausprobieren, z. B. ins Feuer fassen, vom Baum fliegen, Rasierschaum kosten. Sogar Nahrungsmittel gibt es, die sie freiwillig kaum anrühren, geschweige denn essen. So kann man, wollen Erwachsene bei einem Kindergeburtstag nicht zu kurz kommen, unbesorgt Austern servieren, kaum ein Kind wird sie einem vom Teller wegschnappen. Die Lust an Spaghetti dagegen hat, glaubt man Freud und seinen Nachfolgern, viel mit dem Rauchen gemein, denn beides befriedige die Lust am Nuggeln. Freud jedenfalls sah einen Zusammenhang mit dem frühkindlichen Lutschen: „Es ist anzunehmen, dass jene Kinder dazu gelangen, bei denen die erogene Bedeutung der Lippenzone konstitutionell verstärkt ist. Bleibt diese erhalten, so werden diese Kinder als Erwachsene Kussfeinschmecker werden, zu perversen Küssen neigen oder als Männer ein kräftiges Motiv zum Trinken und Rauchen mitbringen.“ Nun ist Daumenlutschen keine Tätigkeit ausschließlich männlicher Kleinkinder, warum also soll das Lutschen nur Männer zum Trinken und Rauchen verleiten, während Freuds Männerphantasie für Frauen statt Cigarren nur das perverse Küssen eines nicht näher bezeichneten Objektes vorsah? Noch weiter in die frühkindliche Motivforschung stieß Borneman vor. Für ihn war Rauchen „eine Form der oralen Regression und geht auf ungenügendes Gestilltwerden in der Säuglingszeit zurück“.

Ich glaube nicht, dass irgendjemand raucht, nur weil er oder sie die Mutterbrust vermisst. Eher schon sind es Vorbilder, die zum Rauchen und Trinken (von Alkohol) motivieren, wobei diese Erklärung nicht unproblematisch ist. Denn Kinder erleben in ihrer Umgebung mindestens so viele Nichtraucher wie Raucher, (scheinbare) Abstinenzler wie Trinker. Eifern sie also letzteren nach, müssen Raucher und Trinker Eigenschaften besitzen, die interessanter, attraktiver erscheinen als die Verhaltensweisen von Menschen, die sich von allen Drogen fernhalten. Und schien nicht tatsächlich der rauchende Onkel, die trinkende Tante meistens weniger angepasst, sittsam und langweilig als die zimperlichen Betschwestern und blassen Zuchtmeister unter den Verwandten und Bekannten? Wer raucht, wirkt einfach lässiger als jener, der Fingernägel kaut, und wer trinkt erzählt Dinge, die bei Hagebuttentee nie zur Sprache kommen.
Tatsächlich deuten einige wissenschaftliche Untersuchungen darauf hin, dass Raucher lebendiger, aktiver, genussfähiger wirken als Nichtraucher. Hans Giese und Gunther Schmidt stellten in ihrer Untersuchung über Studentensexualität 1968 fest, dass Raucher häufiger Sexualität praktizieren als Nichtraucher: „Besonders signifikant ist die Korrelation von Nikotinkonsum und sexueller Aktivität bei den Studentinnen.“ Jüngere Untersuchungen bestätigen eine höhere sexuelle Aktivität von Rauchern (und Trinkern) in allen Altersgruppen , aber auch schon Joachim Ringelnatz (1883-1934) verband Sex und Rauchen zu einer jeden verklemmten Spießer entzückenden Anspielung:

Es gehört zu den fröhlichen Sachen,
Sich bei den Schleimhäuten beliebt zu machen.
Und demjenigen, das so hinein-
Kommt, müssen Schleimhäute auch dankbar sein.
Im Reizen und im Befriedigtwerden
Liegt alles Glück auf Erden.

Kriegen Sie aber diese Worte
Bitte nicht in den falschen Hals!
Denn sie sind vieldeutig. Diesenfalls
Red ich von Tabak jedweder Sorte:
Tabak zum Rauchen, Schnupfen und Kauen.
Und da ist nichts wichtiger als
Guter Geschmack und gutes Verdauen.

Raucher gehen weniger oft in die Kirche als Nichtraucher , dafür häufiger zum Tanzen (ebd., S. 32). Starke Raucher sind oder fühlen sich seltener krank als schwache Raucher: „Sowohl die objektiven als auch die subjektiven Daten lassen … vermuten, dass sich Menschen, die sehr stark rauchen, besonders wohl fühlen … Aufgrund dieser Ergebnisse muss man vermuten, die Intensität des Rauchens und ein allgemeines Wohlbefinden laufen parallel.“ Zusammenfassend kann festgestellt werden: „Zigarettenraucher sind kontaktfreudiger und trinkfreudiger als Nichtraucher und Pfeifenraucher.“
Dem widersprechen nicht die zahlreichen psychologischen Studien, die Rauchern häufig psychische Labilität, neurotische Fehlhaltung und unbewältigte Oralität zuordnen.
Der Schweizer Psychoanalytiker B. Luban-Plozza („Über die Psychologie des Zigarettenrauchens“) nennt Raucher schlicht „Psychopathen“, seine Kollegen Angst, Dittrich, Krüger fassen ihre Untersuchung über Raucher zusammen: „Sie erwiesen sich als emotionell unausgewogen, litten an Ängsten oder inneren Konflikten. Sie waren empfindsamer und reizbarer als die Nichtraucher; auch argwöhnischer und misstrauischer, mehr von sich selbst eingenommen; auch weniger sportlich; sie tranken mehr Alkohol und waren extrovertierter als die Nichtraucher.“
Die so angeprangerte Deformation von Rauchern scheint zumeist in einer Unangepasstheit zu liegen, die konservative Ärzte und Erzieher für krankhaft halten, zumal – worauf Heinrich Epskamp hinwies – Rauchen als Sünde angesehen wird, weil es ein Akt der Selbstbefriedigung ist.

Tatsächlich nimmt Rauchen wie die Masturbation zumeist im Zeichen des Illegalen seinen Anfang. Hinzu kommt, dass Raucher eine deutlich negativere Einstellung gegenüber Autoritäten haben und schon im Kindergarten rebellischer waren als die späteren Nichtraucher. Anständige Kinder, die überzeugt sind, einst in den Himmel zu kommen, rauchen seltener als Kinder, die – vielleicht aus guten Gründen – an dieser Gnade zweifeln.
Allerdings versagen Raucher auch häufiger bei den üblichen Intelligenztests als Nichtraucher. Eine Untersuchung beziffert den durchschnittlichen Intelligenzquotienten von Nichtrauchern mit 112, von gelegentlichen Rauchern mit 109 und von regelmäßigen Rauchern mit 107.
Der Einstieg in das Rauchen dürfte sowohl mit Nacheifern als auch Rebellion zu tun haben, da das Vorbild sich in der Regel durch Andersartigkeit auszeichnet. Der Griff zur ersten Zigarette ist – nicht nur bei Frauen – ein Schritt in die Emanzipation.
Doch sinnlos ist es, von Medienstars Rauchabstinenz zu verlangen, denn niemand fängt zu rauchen an, weil ein Bundeskanzler, Kardinal oder Dressurreiter raucht. Diese Herren und vergleichbare Damen sind so langweilig oder gar lächerlich wie ihre Kleidung und ihr Gehabe, und wenn sie rauchen, ist dies nicht Teil ihrer Persönlichkeit, sondern ein Akt der Gewohnheit. (Wäre es anders, ließen sie sich nicht ihre Lust am Rauchen so willig beschneiden.) Die wirklichen Helden aber, Bogart oder Schwarzenegger, rauchen nicht, um den Helden zu markieren, sondern sind Helden, zu deren zahlreichen Eigentümlichkeiten eben auch das Rauchen gehört. Wer Bogart die Zigarette nimmt, macht ihn unglaubwürdig. Wirkungsvoller wäre es im Sinne der medialen Raucherzensoren, allen nichtrauchenden Leinwand- und Bildschirmlangweilern das Rauchen zu gebieten zwecks Abschreckung Jugendlicher.

Wer Rauchen oder Nichtrauchen auf die Nachahmung reduziert, hat wenig und das auch noch verkürzt verstanden. Raucher können Vorbild sein, aber der erste Zug aus einer Zigarette ist ein Initiationsritus, den sich der oder die Jugendliche selbst gewährt. Mit dem Rauchen zu beginnen ist für Jugendliche eine der wenigen Möglichkeiten, der überlangen Infantilisierung in der bürgerlichen Gesellschaft zu entkommen. Die Zigarette ist ein Zugangscode zum Eintritt in die Erwachsenenwelt. Im Unterschied zu allen anderen Codes (Führerschein, Wahlrecht, Discobesuch) wird er nicht ab einem festegelegten Zeitpunkt gewährt, sondern sich selbstbestimmt genommen. Wer raucht, erlaubt sich, kein Kind mehr zu sein.
Dies erklärt auch, warum nach dem 20./25. Lebensjahr nur mehr wenige Menschen das Rauchen anfangen . Bei diesen späten Rauchern ist oft der Wegzug aus dem Elternhaus, der Tod der Eltern oder eines Partners Anlass der nachgeholten Initialisierung. Für gewöhnlich aber wird, wer schon erwachsen ist, nicht mehr mit dem Rauchen beginnen. (Und selbstverständlich kann man auch erwachsen werden, ohne je geraucht zu haben oder konfirmiert, gefirmt oder beschnitten worden zu sein.) Zu Recht sehen daher Anti-Raucher-Initiativen den wirkungsvollsten Ansatz ihrer Kampagnen bei Jugendlichen. Gelingt es, Kindern diese Möglichkeit der Selbstbestimmung zu verwehren, ist der Kampf gegen das Rauchen, vielleicht sogar auch gegen andere Unverschämtheiten, so gut wie gewonnen.

Andernfalls kommt zur Unbotmäßigkeit des Rauchens alsbald die Lust nach Nikotin hinzu. Auch Tiere mögen diese Droge , die bei entsprechend niedriger Dosierung eine stimulierende Wirkung zeigt und vom Körper als angenehm empfunden wird. Dies gilt schon für das nikotinarme Pfeifenrauchen. Albert Einstein, Mitglied des Montreal Pipe Smokers Club bekannte: „Pfeifenrauchen trägt zu einem besonders ruhigen und objektiven Urteil in allen menschlichen Angelegenheiten bei.“
Wahrscheinlich nur 7-8 Sekunden nach dem ersten Zug setzt das aufgenommene Nikotin im Gehirn Norepinephin frei, ein Noradrenalin, das zu einer Antriebssteigerung und Stimmungsaufhellung führt. Durch die Beeinflussung von Proteinkomplexen (Rezeptoren), die den Informationsaustausch zwischen den Zellen vermitteln, kommt es zu einer erhöhten Signalübertragung. Große Mengen Nikotin, wie sie früher inhaliert wurden, können Raucher daher in einen Rauschzustand versetzen, betäuben, narkotisieren. So berichtete ein Reisender 1719 aus Moskau:

„Die Moscowiter rauchen den Toback auf eine so abgeschmackte manier, dass ich gantz außer mir selbsten war/ als ich sahe/ wie sie damit umgiengen. An statt der Pfeiffen brauchten sie ein Horn von einem Ochsen/ mitten in solchen war ein kleines Loch/ in welches sie ein etwas weites Geschirr setzten/ so zum wenigsten 2. Pfeiffen Toback begreiffen mochte. Dieses Horn fülleten sie mit Wasser/ um den Tobacks-Rauch in etwas zu versüssen/ darauf zündeten sie den Toback mit einem Brand aus dem Feuer überall an/ und durfften mehr nicht/ denn 2. oder 3. Mahl ziehen/ so war er dahin/ und hatten ihn verthan/ wodurch sie denn einen so dicken Rauch erregten/ dass solcher wie eine Wolcke/ also zu reden/ aufzog/ und ihr gantzes Gesicht umnebelte. Ich habe einen nach den andern wohl 5. bis 6. Mahl also Toback trincken sehen/ wenn nur der eine sein Theil ausgeraucht hatte/ übergab er sein Horn dem andern/ und fiel darauf zur Erden nieder/ nicht anders als ob er todt wäre. In welchem Zustand ein ieder unter ihnen eine halbe Virtel-Stunde lang verblieb/ gantz unbeweg- und unempfindlich/ was man auch mit ihnen vornehmen mochte/ so lange der Toback seine Wirckung thäte. Hernachmahls stunden sie gantz frisch und frölich/ und fingen an den Toback herauszustreichen/ sagend/ es sey nichts auf der Welt/ so das Gehirn besser reinige als derselbe.“

In geringer, heute gebräuchlicher Dosis bewirkt der Nikotingenuss ganz nach Bedarf des Rauchers Spannung oder Entspannung. Mittels einer Zigarette können Erschütterung, Aufregung, Anspannung überwunden oder zumindest gemildert werden. Unfallopfer, kaum dass sie notdürftig verbunden wurden, gieren als Raucher nach einer Zigarette. Lottogewinner wie Bankrotteure greifen, nachdem sie die Nachricht erhalten haben, schnellstmöglich zur Zigarette, Examenskandidaten und ungeübte Redner suchen sich beim Rauchen zu sammeln, und die viel zitierte „Zigarette danach“ dient der Lockerung sexueller Anspannung. (Unterhalten sich zwei Frauen, sagt die eine: „Rauchst du auch immer danach?“, sagt die andere: „Weiß ich gar nicht, hab noch nie nachgeguckt.“)
Rauchen beruhigt und kann sogar Leben retten: Im März 1998 wollte sich ein 41-jähriger Mann in einem Waldstück bei Bad Münstereifel mit den Abgasen seines Autos vergiften. Während der Motor bereits lief, zündete sich der Mann bei geöffnetem Fenster eine letzte Zigarette an, schlief ein und wurde von einer Spaziergängerin geweckt.
Umgekehrt hilft die Zigarette dem Raucher, sich zu konzentrieren, sich in einen geistigen Spannungszustand zu versetzen, durchzuhalten, seine Kräfte zu sammeln. Im Unterschied zu anderen Rauschgiften und Alkohol ist Nikotin als Fluchtdroge unbrauchbar, es hilft dem Konsumenten nur, sich selbst zu helfen, gaukelt ihm keine Ersatz- und Wahnwelt vor, macht nicht redselig, sentimental, aggressiv, öffnet nicht psychische Barrieren, löst weder Lachen noch Heulen aus, bietet allerdings auch keine Erfüllung, Sättigung und bleibt daher ein permanenter Anreiz. Nikotin wirkt im engen, immer funktionalen Rahmen als Regulator zur Feinabstimmung psychischer Zustände und ist neben Koffein und Teein die zivilisierteste, sozialverträglichste Droge. Sie erweitert oder verengt nicht das Bewusstsein, sie schärft es nur oder relativiert es. Allerdings ist es möglich, dass die aktivierende Funktion des Rauchens nur unter bestimmten mentalen Voraussetzungen des Rauchers eintritt, die Zigarette also nur ein „Aktivierungsmittel des Aktivierungsgeneigten“ ist.
Die Doppelfunktion der Zigarette macht gewiss einen wesentlichen Teil ihres Erfolges aus als Hilfsmittel in allen Lebenslagen mit der, wie ein genialer Werbeslogan versprach, alles wie von selbst geht. Annie Leclerc nannte die Zigarette „das Gebet unserer Zeit“ . Tatsächlich kann auch Beten beruhigen und aktivieren.

Der scheinbare Widerspruch zwischen entspannender und anspannender Wirkung derselben Droge löst sich auf, wenn, was viele Analysen belegen, der Entschluss zu rauchen mit überdurchschnittlich aktiven Persönlichkeitsstrukturen korreliert. Anders lässt sich die kontemplative Wirkung des Rauchens kaum erklären, wie sie der Philosoph in Brechts „Messingkauf“ beschreibt: „Eine Zeitlang besuchte ich Freilichtaufführungen und rauchte während der Aufführungen. Ihr wisst, die Haltung des Rauchenden ist sehr angenehm für die Beobachtung. Man lehnt sich zurück, macht sich seine Gedanken, sitzt entspannt da, genießt alles wie von einem gesicherten Platz aus, gehört nur halb zur Sache.“
Ein träger Mensch bedarf keiner Zigarette, keiner Entspannung, um die Dinge aus alsbald schläfriger Distanz zu betrachten; weil er selten angespannt ist, sucht er weniger die Entspannung als das Dösen. Umgekehrt ist Anspannung sein Bedürfnis nicht, er will nicht den Push, der ihn auf Touren bringt.
Doch reichen diese Wirkungen allein nicht aus, die Faszination des Rauchens für Raucher zu erklären. Die meist vergeblichen Versuche, Raucher durch eine injizierte oder medikamentöse Nikotinzufuhr vom Rauchzwang zu befreien, lassen vermuten, dass „Nikotin eine notwendige aber nicht hinreichende Bedingung des Zigarettenrauchens“ ist .
Die geringste Rolle beim Konsum spielt wohl der Geschmack des Tabaks, nur 2 % aller Raucher können blind ihre Sorte herausschmecken. Wichtiger schon ist das Image einer Marke. Cigarren- und später Zigarettenpackungen hatten immer die Aufgabe, Träume zu wecken von fernen Ländern, heißblütigen Frauen, von Abenteuer und Wohlstand, vom Erfolg oder Ausflippen, wobei das Ziel der Träume so häufig wechselte wie der Zeitgeist. Solange Fernreisen ein Privileg weniger waren, konnte der „Duft der weiten Welt“ in einer Zigarette liegen, deren Name fast unaussprechlich und damit genügend fremd war: Peter Stuyvesant. Als Reisen selbstverständlich wurde, verlor der Zauber dieser Marke seinen Reiz. Viele Harems-, Südsee-, Zigeunerinnen- oder Soldatenetikette, die Buchhalter wie Oberstudienräte einst verführten, wirken nur mehr liebenswert antiquiert.

Kaum ein Gauloises-Raucher würde heute noch seine „Caporal“ so beschreiben wie 1925 André Citroen: „Unser gewöhnlicher Caporal, knisternd, aufbauend, männlich, gesund, ein Kamerad, ein guter Junge, ein Kumpel, was für eine Persönlichkeit er besitzt! Anders als die meisten exotischen Tabaksorten mit ihrer blonden Drahtigkeit, die ganz plötzlich schlaff wird, wie weiches, fades Lametta, das man für sentimentale Neurotiker mit Parfüm getränkt hat.“
Die Wechselhaftigkeit des Images verrät seine Relativität. Das Image erklärt Absatzzahlen, aber nicht die Lust am Rauchen, und es gibt nur sehr wenige Raucher, die im Notfall nicht zu einer anderen Marke greifen als der gewohnten. Das Image einer Marke entscheidet daher nicht darüber, ob jemand raucht, sondern nur, welche Packung er wählt. Wer Tabakwerbung verbietet und gar, wie die irische Regierung, die Einfuhr von Zeitschriften mit Tabakreklame untersagt, betreibt populistischen Aktionismus, der bestenfalls Rauchgewohnheiten, aber nicht die Entscheidung zum Rauchen verändert.
Positiv vom Raucher wird zweifellos auch das Ritual des Rauchens empfunden, die Art, eine Zigarette aus der Packung zu befördern, nestelnd oder schwungvoll je nach Stimmung, sie mit einem Streichholz oder einem Feuerzeug zu entzünden, etwas in der Hand zu haben, beschäftigt zu sein, Rauch aus Mund und Nase zu blasen. Nicht unterschätzt werden sollte auch der kommunikative Aspekt, die Solidarität unter Rauchern. Jeder Raucher ist berechtigt, einen anderen Raucher um eine Zigarette, um Feuer zu bitten. (Viele Beziehungen zwischen Menschen begannen mit der Bitte um Feuer.) Aber Rauchen ist nicht nur ein häufiger Gesprächsanlass, es erleichtert auch die Kommunikation, macht anpassungsfähiger, toleranter: „Der Selbstberuhigungseffekt des Rauchens erhöht die Bereitschaft, sich an vorgegebene Lebensbedingungen anzupassen.“ Daher konnte eine Rednerin 1930 in einem New Yorker Damenklub ihren Zuhörerinnen empfehlen: „Auf keinen Fall heiraten Sie einen Mann, der nicht raucht. Nach meinen reichen Erfahrungen sind alle Männer, die nicht rauchen, ungeduldig und streitsüchtig und besitzen keinen Humor … Darum rate ich Ihnen, meine Damen, im Interesse Ihres Glückes und Ihrer Zukunft jeden Heiratsantrag eines Nichtrauchers auszuschlagen.“

Man hat oft versucht, die Bereitschaft zum Rauchen mit sozialen Faktoren zu erklären , nicht zuletzt in der Hoffnung, damit das Rauchen als Unterschichtenphänomen weniger attraktiv zu machen. Während eine Schichtenzugehörigkeit relativ einfach messbar ist, bedarf es bei Haltungszuordnungen aufwendiger Forschungsmethoden. Nur mit großem finanziellen Aufwand ließe sich daher prüfen, ob Rauchen weniger ein soziales als ein mentales Phänomen ist. Ein überdurchschnittlicher Anteil von Rauchern in der Unterschicht könnte auch bedeuten, dass Menschen, die rauchen, überdurchschnittlich eigenwillig, selbstbestimmt sind und daher nicht nur ihrer angegriffenen Lunge wegen weniger schnell im Ersteigen der Karriereleiter.
Jürgen von Troschke scheint ebenfalls mentale Ursachen höher zu bewerten als soziale: „Zusammenfassend können wir feststellen, dass Rauchen ein menschliches Verhalten ist, das nur verstanden werden kann im Zusammenhang mit den gesellschaftlich vermittelten Lebensbedingungen sowie den kulturell vorgegebenen Vorstellungen über den Sinn des Lebens.“
Vielleicht liegt eine Scheidelinie von Nichtrauchern und Rauchern zwischen dem Streben nach Fitness und dem nach lustvollem Leben. Dies würde erklären, warum viele Raucher für ihren Rauchgenuss bewusst das Risiko einer Erkrankung eingehen. Richard Klein vermutet gar: „Wenn Zigaretten gesund wären, erschienen sie uns nicht so erhaben.“ Raucher haben vielleicht andere Werte als Nichtraucher. Sollte Rauchen aber tatsächlich ein mentales Phänomen sein, wofür die guten Erfolge der psychologischen Raucherentwöhnung sprechen, wäre auch die Schärfe in der Auseinandersetzung zwischen Rauchern und Nichtrauchern verständlich. Über unterschiedliche Interessen, über Rücksichtnahme, über Aufteilung etc. könnten sich Raucher und Nichtraucher leicht einigen. Hat ihr Streit jedoch mentale, also ideologische Ursachen, wird er ebenso scharf wie ergebnislos geführt. Für überzeugte Nichtraucher verpesten Raucher nicht nur die Luft, sondern auch das Denken und Fühlen. Rauchen ist ihnen daher eine Provokation, wie Kleidung und Haarschnitt Provokationen sein können als Ausdruck willentlicher Andersartigkeit.
Am deutlichsten wird dieser Zusammenhang von Rauchen und Weltanschauung und damit auch die dem Rauchen eigene Provokation Andersgläubiger am Grabmahl des Tangogenies und Kettenrauchers Carlos Gardel. Auf ihm brennt statt eines ewigen Lichtes eine ewige Zigarette.

Könnte Tabak wirklich töten,
Läg ich, frei von allen Nöten,
Längst in stiller Grabesruh.
Schon seit früher Jugend Tagen
Lernt ich Schweres leicht ertragen
Und das schwerste Kraut dazu.

Fruchtlos ohne die Cigarre
Die Gedanken ich erharre;
Witz und Phantasie entfliehn.
Jedes Blatt in meinem Kranze
Stammt von der geliebten Pflanze,
Ist getränkt mit Nikotin.

Unser Hoffen, unser Streben,
Rauch ist unser ganzes Leben
Und sein köstlichster Genuss.
Darum rauch ich voll Behagen
Und will mich auch nicht beklagen,
Geht das Feuer aus zum Schluss.
(Albert Träger, 1830-1912)

Letztlich ist es wohl das Verhältnis der Raucher zum Tod, das sie so unerträglich macht für viele. Alle anderen „Laster“ haben auch für Nichtbeteiligte einen Sinn, sind wenn auch nicht entschuldbar so doch verständlich. Wer exzessiv isst oder vögelt, übertreibt nur, was für den Erhalt des Lebens notwendig ist. Wer sich in Alkohol oder Rauschgift flüchtet, sucht sich das Leben erträglicher zu machen. Nur der Raucher hat keine Entschuldigung. Der einzige Sinn des Rauchens besteht im Rauchen selbst. Es ist purer Genuss auf Kosten der Gesundheit. Natürlich sterben auch Raucher ungern, und mancher Schwerkranker mag am Schluss seine Rauchleidenschaft verfluchen. Im Allgemeinen aber lassen sich Raucher nicht bluffen, nicht einschüchtern vom Tod, der auf sie wartet und früher oder später unweigerlich zuschlagen wird, denn Leben ist weniger eine Funktion der Zeit als der Intensität. Ansonsten gilt, was ein unbekannter Spötter plump aber zutreffend feststellte:

„Alkohol und Nikotin
rafft die halbe Menschheit hin,
doch ohne Alkohol und Rauch
stirbt die andere Hälfte auch.“

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